Transsib 1997

 

Dies ist der Bericht über eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn im Sommer 1997. Die Idee zu dem Vorhaben entstand im Isergebirge bei einem Besuch in Gustav Ginzels legendären Misthaus. Es wurde gerade die Frage eines aufregenden Urlaubszieles erörtert, das gleichzeitig exotisch und billig sein sollte. Dabei verfielen Dzsimballa der Ältere und Specki auf den Gedanken, daß eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn diese Prämissen erfüllen müßte.

Die Idee erfreute sich allgemeiner Aufmerksamkeit und eine nicht geringe Anzahl der sogenannten "Misthäusler" bekundete ihr Interesse bei der Sache mitzuwirken. Leider setzte sich recht bald die Erkenntnis durch, daß eine solche Tour keineswegs ein Billigurlaub werden wird. Die letztlich angefallenen Reisekosten von ca. 4.000,- DM pro Nase führten dazu, daß für das Vorhaben sechs Personen übrig blieben, die im wesentlichen der berufstätigen Bevölkerung zuzurechnen sind. Nur Jojo als frischgebackener Zivildienstleistender bildete die Ausnahme.

 

Nachdem wir uns eingehender mit der Transsib-Strecke beschäftigt hatten, fanden wir heraus, daß man nicht nur von Moskau nach Wladiwostock fahren kann. Es gibt auch die Möglichkeit von Moskau nach Peking zu reisen. Wir entscheiden uns für diese Strecke jedoch mit Start in Peking und Ziel in Moskau. So können wir für die gleichen Reisekosten auch China und die Mongolei sehen.

 

Der zur Verfügung stehende Zeitrahmen von drei Wochen Urlaub begrenzte die Sache sehr und sollte von Nachahmern der Aktion als das absolute Minimum angesehen werden. Das setzte auch eine gewisse Planung der ganzen Geschichte voraus, bei der uns die Agentur Bett&Brötchen aus Berlin (Krefelder Str. 4, 10555 Berlin, Tel.: 030/39294-30, Fax: -85, e-mail: B-B.worldwide@t-online.de) wertvolle Unterstützung gab. Als Spezialist für "bed and breakfast"- Unterkünfte weltweit konnten sie uns auch im fernen Asien Übernachtungen bei Gasteltern vermiteln. Das brachte neben der etwas preiswerteren Übernachtung auch den gewollten Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung.

 

Allgemein läßt sich sagen, daß mit genügend Zeit (sagen wir mal ein halbes Jahr) die Tour auch in Selbstorganisation durchführbar ist. Der Kauf von Bahnkarten, u.ä. vor Ort dürfte auch ein ganzes Stück billiger sein als über ein Reisebüro in Deutschland. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß man sich dabei nicht über den Löffel ziehen läßt (Rußland !). Um das zu vermeiden sollte man mit den Eingeborenen einigermaßen sicher kommunizieren können. Anderenfalls ist doch eher die Inanspruchnahme eines Reisebüros zu empfehlen.

 

Das soll als kurze Einleitung genügen, beginnen wir nun mit dem Reisebericht.

 

 

 

Donnerstag, 24. Juli 1997, Goßraum Dresden:

 

Das ist der Tag vor Beginn der Tour. Ich habe einen ausgefüllten Arbeitstag, in dem es vor dem Urlaub noch einiges zu erledigen gilt. So komme ich erst nach 20°° Uhr nach Hause. Den Rucksack habe ich schon an den Abenden vorher vorbereitet. Eigentlich ist er ja immer gepackt, jedoch nur in seiner leichten Form (Rucksackausrüstung Nr. 1) wie ich ihn zum boofen, für Geburtstagsfeiern in der Fremde oder für Open Air Festivals benutze.

Für die kommende Tour ist jedoch die etwas erweiterte Version notwendig (Rucksackausrüstung Nr. 2). So kamen also zum Schlafsack, dem Klopapier und der Zahnbürtse noch Tauchsieder, Fotoapparat, und der Stadtplan von Peking hinzu. (Ausrüstung Nr. 3 ist nur für schwere Fälle vorgesehen und beinhaltet Zelt, Sauerstoffflaschen und den Atlas vom Mond)

Nach dem Abendbrot lege ich mich noch mal fix aufs Ohr für eine Mütze Schlaf ...

 

 

 

 

Freitag, 25. Juli 1997, Berlin:

 

Treffpunkt für die Tour ist zwei Stunden vor Abflug der Flughafen Berlin-Schönefeld. Um also 11°° Uhr garantiert vor Ort zu sein stehe ich 3 Uhr morgens auf und fahre mit dem ersten Bus zum Bahnhof. Aber die Eventualitäten bleiben aus und ich bin halb neun in Schönefeld. Es ist genug Zeit erstmal zu frühstücken. Danach besorge ich mir noch etwas Reiselektüre und Krimskrams, der als Mitbringsel für die Gasteltern gedacht ist. Letztendlich ist auch noch etwas Zeit um bei einem Glas Bier am vormittag Abschied von Deutschland zu nehmen..

Dank der Übersichtlichkeit des Schönefelder Flughafens ist es kein Problem den Treffpunkt in der Vorhalle zu finden. Ich wundere mich beiläufig, wie Erich und Genossen, die Schönefeld immer als das Tor der DDR zur Welt ansahen, über dieses mickrige Teil so stolz sein konnen.

 

Hier ist es vieleicht Zeit die handelnden Personen vorzustellen, um auch "Nichtmisthäuslern" die Einordnung der Reiseteilnehmer zu ermöglichen. Zuerst zu nennen wären Ricardo & Ina aus Dresden. Ricardo ist Lehrer an einer Berufsschule und Computerfachmann, Ina schreibt für Quelle Computerprogramme für Kaufhäuser in Ostasien (unser Parteiauftrag sich praktischerweise mit der Chinesischen Sprache zu befassen wurde aber von Ihr abgelehnt). Weiterhin fuhr Volker mit, er arbeitet als Kerntechniker an der Uni in München und schreibt Handbücher für Kernkraftwerke. Andreas, der auch Specki genannt wird (aber kein Mensch weis warum), ist Holzfachmann an der Uni in Cottbus. Jojo aus Dresden begann während der Tour seinen Zivildienst, den er glücklicherweise gleich mit Urlaub beginnen konnte. Durch diesen Umstand konnten wir den Sechser vollbekommen, denn ab sechs Reiseteilnehmern gibt es für Flug- und einige andere Tickets Rabatte. Der sechste Mann fehlt noch aufgezählt, es war Hops, der diese Zeilen schreibt.

 

Punkt 11°° Uhr war also Treffpunkt und da alle da waren, gingen wir gleich zum Check-in. Nachdem wir dort problemlos durch sind, haben wir noch zwei Stunden Wartezeit im Zollraum.

Es gibt Reisende aus aller Welt zu sehen, die üblichen Duty-free-Läden und eine kleine Bar, an der wir einen Kaffee trinken. Wir essen aber nichts, denn der Hunger ist noch nicht so groß und das Essen im Flieger ist umsonst. Unser Hinflug wird über Moskau, wo wir vier Stunden Aufenthalt haben, nach Peking gehen.

Durch die großen Scheiben hat man einene guten Blick auf das Flughafengelände. Wir beobachten, wie unser Flieger, eine etwas antik wirkende IL62N der Aeroflot, herangerollt wird. Als erste Passagiere dürfen ein paar junge Herren einsteigen, die mit einem extra VW-Bus des BGS ankommen. Sicher sind es Spitzbuben, die abgeschoben werden sollen. Sie werden von sportlichen Zivilisten in Detektivausrüstung (Handschellen, Pistole, Funkgerät,...) im Flieger wilkommen geheißen.

 

Durch solcherart kurzweilige Anblicke vergeht die Wartezeit schnell und schon bald können wir ins Flugzeug steigen, das sich mit uns Punkt 13°° Richtung Rollfeld in Bewegung setzt. Nach ein paar Metern bleiben wir wieder stehen, worüber sich aber noch niemand Gedanken macht. Sicherlich ist die Piste noch nicht freigegeben. Nach einer viertel Stunde wird es uns dann doch langsam merkwürdig. Auch die "Betreuer" der Ehrengäste, die im hinteren Teil des Flugzeuges sitzen, werden unruhig und einer von ihnen geht vor ins Cockpit. Als er wieder kommt sagt er uns gewöhnlichen Passagieren natürlich kein Wort über die Verzögerung. So erfahren wir erst ein paar Minuten später von einer Durchsage der Stewardess, daß sich der Abflug wegen technischer Probleme verzögert.

Nachdem wir eine halbe Stunde herumgestanden haben, wird zwei, drei mal eine Druckprobe in der Kabine durchgeführt. Wir müssen schlucken, damit es in den Ohren knackst, dann ist wieder Stillle. Erneut verweist die Stewardess auf technische Probleme und ich muß sagen, daß uns das in dem klapprigen Kasten nicht gerade beruhigt. Ich finde hier hätte die Aeroflot ruhig zu einer kleinen Notlüge greifen können.

 

Es ist vieleicht eine dreiviertel Stunde vergangen, als wir höflich aufgefordert werden wieder auszusteigen. Offensichtlich sind die Probleme nicht so schnell in den Griff zu bekommen. Alle Passagiere werden mit einem Bus wieder zum Zollraum zurückgefahren und sind vorerst auch etwas erleichtert, das nicht gerade sehr zuverläsig wirkende Flugzeug verlassen zu können. Die Ungewissheit bleibt allerdings zurück. So erfahren wir vom Service-Personal des Flughafens weder die Art der technischen Störung, noch ob es später mit der selben Maschine weiter geht oder ob ein Ersatz gestellt wird.

Etlich Passagiere verbeiten Streß, da sie in Moskau auf andere Linien umsteigen müssen. Sie haben überwiegend Pech, da so kurzfristig keine Umbuchung zu bekommen ist.

Wir sechs sind vorerst nicht weiter beunruhigt, denn die vier Stunden Aufenthalt in Moskau sind eine genügend große Reserve. Denken wir jedenfalls.

Durch die Fenster kann man beobachten, wie ein paar Techniker hektische Betriebsamkeit entfalten und um das Flugzeug wuseln. Wir schlagen die Zei tot, indem wir uns an der Flughafenbar verköstigen und in den Duty-free-shop gehen. Dort werden hauptsächlich diverse Schnäpse gekauft, die zu dieser Zeit noch als Gastgeschenke vorgesehen sind.

Nachdem unser Spielraum zum Umsteigen in Moskau auf weniger als eine Stunde zusammenschmilzt, wird das Flugzeug vom Terminal abtransportiert. Jetzt machen auch wir uns Gedanken. Auf dem Abflugplan ist für 21°° Uhr eine Maschine der Air China für einen Direktflug nach Peking vorgesehen. Ricardo belabert eine der Flughafenbediensteten, ob es nicht möglich ist, auf diese Maschine umzubuchen. Außer uns sind noch ein paar andere Reisende, denen damit geholfen wäre. Irgendwie schafft es die junge Frau. Als die Maschine Moskau-Peking definitiv nichtmehr zu kriegen ist, haben wir die Tickets für den Direktflug mit der Air China in der Tasche.

Trotz des späteren Abfluges (und der damit verbundenen Warterei - stöhn !) werden wir zwei Stunden eher in Peking sein als mit der alten Verbindung. Da uns unsere chinesische Gastfamilie auf dem Flugplatz abholen will, ruft Ricardo im Reisebüro an, damit man sich auf unsere vorzeitige Ankunft einstellen kann. Welche Folgen dieser Anruf hat ahnten wir damals noch nicht ...

 

Der Flug war jedenfalls vom Feinsten. Die Boing bietet gegenüber der Aeroflot-Maschine geradezu unanständigen Komfort. Die Air-China ist auch nicht gerade eine Billigline. Für uns bedeutet es jedoch keinerlei Aufpreis.

Der Service ist von ausgesuchter cinesischer Höflichkeit und wir schlagen beim leckeren Abendbrot im Flugzeug zu. Mittlerweile haben wir auch einen ordentlichen Hunger. Einziger Mißgriff ist das US-amerikanische Bier, welches im Flugzeug gereicht wird. Es ist so schlecht, daß es hier ausdückliche Erwähnung verdient.

 

Die neun Stunden Flug werden wir mit Essen, Filme ansehen (chinesische mit engl. Übersetzung), schlafen und aus dem Fenster sehen verbringen. Leider fliegen wir durch die Nacht, so daß nicht viel aus der Luft zu sehen ist. Einer der gezeigten Filme ist so langweilig, daß ich nicht zuletzt auch dank des tapfer heruntergekämpften Bieres einschlafe ...

 

 

Sonnabend, 26. Juli 1997, Peking:

 

Ich wache auf und im Flugzeug ist es ruhig, alles schläft. Etwas verschlafen schiebe die Verdunkelung des Fensters hoch und bekomme einen spektakulären Sonnenaufgang über den Wolken zu sehen. Die Sonne kommt gerade über den Horizont gekrochen und taucht die Wolken in ein verrücktes Farbspiel.

Wir befinden uns mittlerweile über China, bekommen aber nur eine geschlossene Wolkendecke zu sehen. Der Vorfreude tut das keinen Abbruch.

 

Pünktlich nach dem Frühstück landen wir auf dem Flugplatz in Peking. Als wir die Gangway zum Shuttle-Bus runter gehen haut es uns erstmal um. Es ist derartig warm und schwül, daß es einen den Atem nimmt. Ein solches Klima hatten wir nicht erwartet! Ein junger Chinese, mit dem ich im Flugzeug ins Gespräch kam sagte, daß es auch für Peking ungewöhnliches Wetter ist. Seit Jahren war es nichtmehr so heiß.

 

Glücklicherweise ist der Fughafen klimatisiert. Die Zollkontrolle läuft problemlos. Wir werden hier erstmals mit einer typisch chinesischen Erscheinung konfrontiert: ungewohnt viele Beamte und Bedienstete stehen scheinbar ohne Funktion herum. Einer hat doch etwas zu tun, nämlich in unseren Paß zu sehen und ein grimmiges Gesicht zu machen.

 

Im Wartesaal des Fugplatzes herrscht bereits hektisches Treiben und wir halten Ausschau nach unseren Gasteltern. Durch unseren Anruf sollten sie von unserer vorzeitigen Ankunft (etwa 2 Stunden) informiert sein.

Tatsächlich laufen auch etliche Chinesen herum und halten Schilder mit Namen in die Höhe. Die Vorhalle ist groß und so wir werden eine Weile suchen müssen, bis wir unseren Abholer finden.

Wir finden aber niemanden. Das ist uns jedenfalls nach einer halben Stunde ergebnislosen Suchens klar. Offensichtlich ist die neue Ankunftszeit nicht durchgestellt worden. Wir müssen also warten, bis die Maschine aus Moskau landet, mit der wir ursprünglich ankommen sollten. Sicher sind dann unsere Gasteltern vor Ort.

Da der Flug über Nacht doch allen ein wenig in den Knochen steckt, machen wir uns es in einer Ecke der Vorhalle erstmal bequem. Ein paar Schritte entfernt steht so ein dekorativer Beamter, die wir in China immer wieder treffen und der, außer da zu stehen, keine andere Aufgabe hat. Das tut er jedenfalls in sehr ordentlicher Grundstellung. Es ist ihm anzusehen, wie er um Fassung ringt, als wir unser Biwak auf dem Fußboden aufschlagen. Da jedoch nirgendwo Sitzgelegenheiten zu sehen sind, läßt er uns gewähren.

Wir beobachten derweil die Leute in der Halle die alle sehr asiatisch aussehen, aber sonst ein vertrautes Bild liefern. Es sind geschäftig umherhastende Yuppies zu sehen, die pauenlos handyphonieren, Taxifahrer suchen nach Kundschaft, Reisende asten ihr Gepäck durch die Halle und hier und da stehen verschüchtert und beeindruckt ein paar Chinesen vom Lande, die sicher die erste große Reise ihres Leben machen. Da bemerke ich auch die dritte Fuktion der herumstehenden Beamten, nach dastehen und grimmig gucken. Man kann sie Dinge fragen.

Die Kleidung der Leute ist westlich und bunt, keine Spur von den "Schlosseranzügen" Mao’s (das ist auch kein Wunder, schließlich wird ein großer Teil unserer "westlichen" Bekleidung in China hergestellt, weshalb sollten sie dann die Chinesen nicht auch selbst tragen).

 

Wir nutzen die Zeit und tauschen erstmal ein paar Yuan. Die Chinesische Währung ist (wie auch die Mongolische) eine reine Binnenwährung. die an keiner Bank der Welt außerhalb Chinas eingtauscht werden kann.

Der Kurs zur D-Mark ist etwa 4 Yuan für 1 DM, wobei das Preisniveau etwa mit dem in der Tschechischen Republik vergleichbar ist. Wir haben uns für die Reise mit US-Dollar (Bargeld) ausgestattet, die man in Asien überall problemlos in die Landeswährungen wechseln kann. Reisechecks, Kreditkarten oder Bargeld in DM können auch benutzt werden, Jedoch werden sie nur an ausgesuchten Stellen akzeptiert (Banken in Citylage, große Hotels usw.). Der Dollar ist in seiner Handhabung wesentlich unkomplizeirter und wird auch auf dem letzten Kuhdorf gern gesehen.

Endlich landet das Flugzeug aus Moskau und wir rechnen nun verstärkt mit dem Auftauchen unserer Gasteltern. Leider tun sie uns nicht den Gefallen. Nach dem Gewimmel vor dem Flughafen zu urteilen, muß ein ganz ordentlicher Verkehr in der Stadt sein, so daß eine staubedingte Verspätung nicht ausgeschlossen ist.

Wir laufen kreuz und quer durch die Eingangshalle um jemanden mit unserem Namen auf dem Schild zu finden. Allmählich gewinnen wir jedoch die Erkenntnis, daß man uns vergessen hat.

Für solche und andere Gelegenheiten haben wir die Adresse eines chineseischen Reisebüros in Peking, an das wir uns in Notfällen wenden können. Auf dem Flughafen haben wir bereits einen Schalter dieser Agentur erspäht, der sich mitten unter denen von anderen Touristik-Veranstaltern, Hotels oder Auto-Vermietungen befindet. Der Schalterbeamte ist nicht gerade übertrieben höflich und beherrscht keine der uns bekannten Sprachen. Ebenso die Leute an den Nachbarschaltern.

Immerhin können wir mit der Zentrale der Agency telefonieren, wo es tatsächlich jemanden gibt der Englisch spricht. Ein Frauenstimme sagt uns daß ein Fahrzeug unterwegs ist, um uns abzuholen. Es bedarf aber noch drei Stunden Wartens und zwei weiterer Anrufe. Diese Zeit ist die erste Bewährungsprobe für unsere Gruppe, denn nach dem chaotischen Beginn in Berlin und der Ungewissheit wie es nun in Peking weitergeht, fangen die Nerven an zu vibrieren.

 

Schließlich spricht uns eine junge Chinesin an und fragt ob wir die Reisegruppe "Ricardo Graf" sind. Sicher hat sie uns an unserem zerstörten Zustand erkannt. Ihr ist es sichtlich peinlich, daß die Abholerei so schief gelaufen ist. Der Grund dafür ist auch schon ein wenig seltsam: als Ricardo wegen unserer Flugänderung anrief war es in Peking noch Nacht. So schickte Bett&Brötchen ein Fax mit dem neuen Ankunftstermin. Leider gab es bei der Übertragung eine Störung, so daß nur der erste Abschnitt des Faxes in Peking ankam. Die Chinesen fanden, als sie morgens auf Arbeit kamen, das Fax vor, in dem es hieß, daß unser Flug gestrichen wurde. Der Teil mit der Ersatzverbindung verschwand im Orkus der Informationsgesellschaft. Die telefonischen Bemühungen der Chinesen das offensichtlich unvollständige Fax aufzuklären blieben erfolglos, da mittlerweile in Berlin nachtschlafene Zeit war. So entstand ein schöner Kuddelmuddel, der dazu führte, daß wir etwa vier, fünf Stunden lang die architektonischen Kostbarkeiten des Pekinger Flughafens bewundern konnten. Innerhalb der letzten 24 Stunden hatten wir also 15 Stunden auf den Flugplätzen Berlin und Peking verbracht, die Flugzeit betrug 9 Stunden.

 

Wir können dem netten Mädel jedenfalls bestätigen, daß wir wir sind, worüber sich alle freuten.

Der Elan kehrt in unsere zerschlagenen Glieder zurück. Wir lösen unser Biwak in der Vorhalle auf, schnappen unser Gepäck und folgen der Chinesin zum Auto. Als wir die klimatisierte Halle verlassen schlägt uns die Luft wie ein heißes Brett auf die Lunge. Es ist um die vierzig Grad warm, die Luftfeuchtigkeit muß 130% betragen.

Das Fahrzeug ist ein Kleinbus, der uns mit dem Gepäck gerade so aufnimmt. Wir müssen eng zusammenrücken. Glücklicherweise ist der Bus klimatisiert, dadurch ist die halbe Stunde Autobahn vom Flugplatz in die Stadt einigermaßen erträglich. Es gibt auch allerhand zu sehen und das Gefühl in China zu sein kann zum ersten mal richtig ausgekostet werden. Unsere Begleiterin spricht ganz gut englisch und wir können die ersten neugierigen Fragen stellen. Bei der Gelegenheit kommt auch das heiße Wetter zur Sprache. Sie eröffnet uns, daß uns das chinesische Reisebüro nicht zumuten will bei Gasteltern in unklimatisierten Räumen zu wohnen. Sie habe deshalb ein ***-Hotel für uns gebucht, es wird uns keinen Pfennig mehr kosten. Vorsichtig fragt sie uns, ob wir damit einverstanden sind. Wir sind einverstanden. Erst später wird uns klar, daß die Geschichte mit der fehlenden Klimaanlage bei Gasteltern nur ein Vorwand ist.

Wir kommen also kurz nach dem Mittag im Park-Hotel an. Es ist ein Neubau, der schon fast im Zentrum der Stadt liegt. Das Foyer verbreitet kühle Eleganz und vornehme Ruhe. Nach dem Check-in verabschiedet sich unsere Begleiterin und wir beziehen unsere drei Zweibett-Zimmer.

Ein wenig bedauerlich finden wir es schon in so einem sterilen Bunker zu wohnen, bei Gasteltern hätten wir einen wesentlich besseren und ursprünglicheren Eindruck von Land und Leuten bekommen.

Jedoch die Freude endlich überhaupt eine Unterkunft zu haben, die Nähe zur Stadtmitte und der erfreulich gute Sevice des Hotels versöhnt uns mit unserem Schicksal.

Es ist heißes Wasser und Tee auf den Zimmern, der Kühlschrank ist mit kalten Getränken bestückt und wird allmorgendlich nachgefüllt. Das Zimmer ist sauber, hat Fernseher und Telefon sowie ein großes Badezimmer. Ich habe schon miesere Hotels gesehen.

 

Wir beschließen uns noch schnell eine halbe Stunde aufs Ohr zu hauen. Das Ausruhen muß jedoch zügig erfolgen, denn unsere Zeit in Peking ist knapp und wir haben schon den halben Tag auf dem Flugplatz verbummelt.

Ganz in der Nähe des Hotels befindet sich der Tian-Tan oder auch Himmelstempel, man kann zu Fuß hinlaufen. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, um am ersten Tag wenigstens etwas von der Stadt zu sehen.

 

Der Weg führt durch Straßen mit 10 bis 20 - geschossigen Neubauten, dazwischen sind Quartiere mit den angestammten, traditionellen eingeschosigen Häusern, die neben den riesigen Hochhäusern wie ärmliche Hütten wirken. Am Straßenrand wechseln sich Kaufhäuser, Geschäfte und Fast-Food-Läden mit kleinen Kramläden und Straßenhändlern ab. Dieser Anblick macht einen eigentümlichen Eindruck auf uns. Endlich sind wir im fernen und exotischen China angekommen, jedoch wirken die Attribute der Großstadt seltsam vertraut und heimisch. Noch habe ich nicht das Gefühl in einem völlig anderen Kulturkreis zu sein.

 

 

Unterwegs kommen wir an einem Mc Donald vorbei. Obwohl wir auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel schon an einem Hard-Rock Cafe vorbeigerfahren sind, halten wir diese Insel westlichen Kulturgutes mitten in Peking noch für so sensationell, daß wir erstmal eine Fotosession einlegen. Später wird sich zeigen. Mc Donald ist nicht der einzige fast-food Riese hier und mittlerweile auch recht zahlreich vertreten. Ich werfe neugiershalber einen Blick in den Laden. Die Auspreisung ist komplett in chinesischer Schrift gehalten und man müßte schon auf die bunten Bilder des Abgebotes zeigen, um sich verständlich zu machen. Diese Bilder aber zeigen das gängige Mc-Donalds-Menü, welches wir uns nun ausgerechnet in Peking nicht antuen wollen.

 

Nach einer guten halben Stunde Fußweg sind wir am Himmelstempel angekommen, er ist ein Museum. In einem Gartenareal befinden sich verschiedene Tempel und Altäre, mitten in der Großstadt. Was wir aus den Reiseführern darüber wissen ist nicht viel (Von den fünf kaiserlichen Tempeln ist es der größte und bedeutenste. In der längsten Nacht des Jahres brachte der Kaiser hier, stellvertretend für die Menschenwelt, ein aufwendiges Tieropfer dar; bla, bla, ...) Die Unwissenheit ist uns egal, Jahreszahlen und philosophische Hintergründe interessieren uns heute nichtmehr. Nach dem stressigen Beginn der Reise ist es eine Wohltat durch die weitläufige Anlage zu schlendern. Der Tempel erfüllt alle Klischees die der Europäer mit China verbindet. Es fällt nun tatsächlich der Rest abendländischer Eindrücke von uns ab. Ich genieße die exotische Farbenpracht und Schönheit der Architektur und die schattigen Wege im Garten.

 

Gegen 17°° Uhr wird der Garten Tian-Tan geschlossen, denn auch die Museumsangestellten wollen Feierabend machen. Der Rückweg zum Hotel ist weniger beschwerlich, denn die Hitze ist auf ein erträgliches Maß zurückgegangen. Das finden offensichtlich auch die Chinesen und bauen überall in den Straßen Buden und Verkaufsstände auf. Das Angebot ist umwerfend. Es gibt frische Waren vom Lande wie Obst, Gemüse, Fisch, Eier, aber auch Backwerk, Gewürze, Getränke, Zigaretten, Haushaltwaren, Bekleidung, Tonträger, Krimskrams, ... kurz, alles was man zum Leben braucht. Es ist ein Supermarkt auf der Straße, ein Supermarkt mit kilometerlangen "Regalreihen". Ich muß schon sagen, daß ich davon beeindruckt bin. Sicher hatten wir von wirtschaftlichen Reformen in China gehört. Aber einen derartigen Basar habe ich in Peking nicht erwartet. Und vorweg genommen: es wird nicht das einzige Vorurteil sein das in den nächsten Tagen zum Thema China noch fallen wird.

 

Unter den Verkaufsständen ist auch eine Unzahl an Imbisstuben, Garküchen und Grillständen. Sie duften unheimlich verlockend und uns wird bewußt, daß wir seit dem Frühstück im Flugzeug nichtsmehr gegessen haben. Die provisorischen Bedingungen in den Buden am Straßenrand machen uns jedoch hinsichtlich der Hygiene ein wenig skeptisch. Mir ist zum Beispiel völlig schleierhaft, wo sie das Wasser hernehmen, aber offensichtlich haben sie welches. Wir beschließen vorerst in ein richtiges Kneipchen zugehen und uns die "Freßbuden" dann vorzunehmen, wenn wir das Risiko einer Magen-Darm Erkrankung besser einschätzen können.

 

In der Nähe unseres Hotels ist ein kleines Restaurant, was einen guten Eindruck auf uns macht. Es sitzen genügend Einheimische darin um es als Touristenfalle ausschließen zu können.

Das original chinesische Restaurant bringt uns ein Kommunikationsproblem. Als wir die Speisekarte bekommen schauen wir wie ein Schwein ins Uhrwerk. Das Menü ist in buchstäblich in chinesisch geschrieben. Wir werden noch die Erfahrung machen, daß z.B. eine englische Speisekarte eher die Ausnahme ist.

Wir haben jedoch Glück im Unglück. Die Gaststätte scheint eine Art Lehrlingsausbildung zu sein und die Chefin kann ein paar Brocken Englisch. Sie zeigt uns die Abschnitte der Karte auf denen die Gerichte von "chicken", "pork" oder auch "beef" verzeichnet sind.

Es mag dem Leser vieleicht nicht recht vorstellbar sein, welchen gewaltigen Vorsprung das in unserer Situation bedeutete. Tatsächlich hatten wir später keine so hilfreiche Eingrenzung des Angebotes und da kann es schon mal passieren, daß man nach dem kühnen Tippen auf die Schriftzeichen der Spreisekarte, statt etwas Essbaren eine Flasche Wein bekommt, oder auch eine Schüssel mit Löffeln.

 

 

Wir konnten also immerhin aus den Bereichen der Karte wählen in denen Speisen verzeichnet waren. Jeder bestellt etwas anderes und als das Essen kam, stellten wir es in die Mitte des Tisches. Es wußte ohnehin keiner wer welche Speise bestellt hatte. Jeder kostete von allem und man muß sagen daß bei dem Glücksspiel des Bestellens in der Regel nur jeweils ein oder zwei Nieten dabei waren. Jedenfalls ist die chinesische Küche sehr lecker. Die kleingeschnittenen Zutaten der Speisen machten es schwierig zu ergründen was wir da letztendlich aßen. Wir erklärten es jedoch schon an diesem ersten Abend zum Prinzip niemals danach zu fragen.

Das Essen wird selbstverständlich mit Stäbchen serviert, die im ersten Moment etwas ungewohnt sind. Der Umgang damit ist jedoch schnell erlernt, vor allem wenn man dem Verhungern so nahe ist wie wir.

 

Zum Essen tranken wir chinesisches Bier, das in der Regel so gut ist, daß man es mit deutschen Produkten vergleichen kann. Die Kellnerin brachte für uns sechs Personen zwei Flaschen Bier und sechs Gläser. Zwar waren es 0,65-l Flaschen, jedoch war das unserem deutschen Durst nach dem langen heißen Tag doch ein bissel wenig.

Wir forderten also für sechs Personen sechs Flaschen, was zu Getuschel unter den Kellnerinnen und vier weiteren Flaschen auf unserem Tisch führte. Nach dem gut gewürzten (und sehr schmackhaften - ich betone das!) Mahl hatten wir durchaus das Bedürfnis noch ein Bierchen zu zischen. Die Bestellung sechs weiteren Flaschen rief etwas ungläubige Blicke hervor. Immerhin hatten wir schon jeder eine ganze Flasche getrunken! Unser Wunsch führte zu einer Belastungsprobe der Getränkevorräte, den nun waren nur noch zwei gekühlte Flaschen vorrätig. Man muß dazu bemerken, daß man in China unter "gekühlt" Temperaturen um den Gefrierpunkt versteht. Für das herbeigeschaffte warme Bier wurde also eine Kruke mit Eiswürfeln aufgetragen. Wir verzichteten dankend. Auf die Eiswürfel !

Alkohol wird in China fast nur zum Essen getrunken. Tatsächlich habe ich während unseres gesamten Aufenthaltes nur ein oder zwei angetrunkene Chinesen gesehen. (Unterdessen habe ich jedoch erfahren, daß sich mittlerweile auch in Peking ein Oktoberfest etabliert hat. Dort werden die kapitalen Sauforgien des bayerischen Originals nachgeahmt. Die Chinesen sollen nicht untalentiert sein ! Vor allem unter der jungen Generation erfreut sich das Fest großer Beliebtheit.).

Der Genuß chinesischen Weines wird an dieser Stelle abempfohlen. Mann kann nur ein oder zwei Gläser trinken, ohne einen schweren Zuckerschock zu bekommen.

 

Gegen halb zwölf schließt das Restaurant und wir gehen ins Hotel zurück. Zum Schlafen bin ich jedoch noch viel zu aufgekratzt, die Erlebnisse der letzten Stunden lassen mich noch nicht zur Ruhe kommen. Specki schmeißt auf unserem Zimmer einen lokalen Sender ins Radio auf dem chinesische Folklore oder etwas derartiges läuft. Wir werten die bisherigen Erlebnisse aus und plündern dazu den Coke-Vorrat aus dem Kühlschrank. Zur Verfeinerung zweigen wir von den Gastgeschenken etwas Whiskey ab, denn Cola pur kann uns nach diesem Tag keiner zumuten.

 

Dank des Schlummertrunkes und der Klimaanlage schlafen wir endlich doch ein.

 

 

 

Sonntag, 27. Juli 1997, Peking:

 

Nach dem anstrengenden Vortag leisten wir uns den Luxus und schlafen aus bis gegen acht. Das Frühstück gibt es in der Bar der Hotelvorhalle. Es ist erfreulich europäisch gehalten, es gibt Kaffee oder Tee mit Toast und diversen Belägen.

Nachdem wir uns gestärkt haben, machen wir uns auf den Weg die Stadt ernsthaft zu erobern. Ausgangspunkt soll der Platz des Himmlischen Friedens sein. Dazu lassen wir uns von den enlisch sprechenden Empangsdamen der Rezeption unser Fahrtziel in chinesischer Schrift auf einen Zettel schreiben.

Wir fangen ein Taxi ab und der Fahrer schnallt aufgrund des Zettels sofort wo wir hin wollen. Die Zettelmethode wird sich auch im weiteren bewähren.

Taxis sind in Peking ein beliebtes Verkehrsmittel, es gibt sie in genügender Anzahl. Der Fahrpreis, der auch immer an der Autoscheibe angeschrieben ist, hält sich im auch für Chinesen erschwinglichen Rahmen. Für uns bietet es den Vorteil auf direktem Wege zum Ziel zu kommen. Auf das Abenteuer mit Bus und Bahn in die Stadt zu kommen lassen wir uns garnicht erst ein, da die Fahrpläne konsequent in Chinesisch geschrieben sind. (Daß die Linienbusse darüber hinaus gewöhnlich überfüllt sind, will ich hier nur am Rande erwähnen.)

 

Während Fahrt wir haben Gelegenheit den Stadtverkehr zu beobachten. Die Straßen sind mit jeweils drei Fahrspuren recht großzügig angelegt. Zusätzlich ist noch eine Fahrspur für die Radfahrer eingerichtet (es gibt viele davon). Es ist ordentlich was los aber eigenartigerweise wächst sich der Verkehr nie zum Stau aus. Die Fahrzeugtypen kommen aus aller Welt und bieten ein gewohntes Bild. Lediglich die Japaner haben ein gewisses Primat. Chinesische Fabrikate vermuten wir lediglich bei einigen Lieferwagen und Kleinbussen.

Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt sind wir am Ziel.

 

Als Mao den Platz des Himmlischen Friedens vergrößern ließ, wollte er dadurch den größten innerstädtischen Platz der Welt schaffen (und den Roten Platz in Moskau übertreffen). Ich schätze das ist ihm gelungen.

 

Es ist ein wirklich sehr großer Platz. Von den Ereignissen des Volksaufstandes 1989 ist nichts mehr zu bemerken. Im Gegenteil, heute am Sonntag sind tausende Menschen auf dem Tian’anmen, die ein beeindruckendes, buntes Gewimmel abgeben. Auch wir mischen uns unter das Volk. An den Verkaufsständen wird alles feilgeboten, was das Touristenherz begehrt: Souveniers, Erfrischungen, Postkarten oder einfach nur Schnulli. Mir wird klar, daß es sich bei den tausenden Chinesen auf dem Platz um Touristen handelt, die sicher aus allen Teilen des Landes kommen und eben mal die Hauptstadt besuchen.

 

An einer Ecke befindet sich eine Mahnwache für die Ereignisse des Studentenaufstandes. Die Soldaten stehen mit würdigem Ernst da und ein Offizier zupft immer wieder die Uniformen zurecht. Außerdem paßt er auf, daß die Kinder keine Faxen machen und der Mahnwache vieleicht noch ein unangemessenes Feixen entlocken.

Ansonsten sind kaum Uniformierte zu entdecken. Die wenigen Polizisten kontrollieren hier und da mal einen der ambulanten Verkaufsstände, offensichtlich gibt es auch Schwarzhändler. Das Volk auf dem Platz beeindrucken sie wenig.

 

Ina wird von einem kleinen Jungen gebeten, sich mit ihm fotografieren zu lassen. Sie ist blond und damit in China eine Sensation ! Auch einige andere fassen sich nun ein Herz und lassen sich mit Ina ablichten. Wer weis , in wie vielen Fotoalben im fernen China nun ein Bild von Ihr existiert. Bevor die Sache zu anstrengend wird verabschieden wir uns elegant und verschwinden.

 

An der Nordseite des Platzes befindet sich das Tor des himmlischen Friedens, welches quasi den Eingang zum Kaiserpalast bildet. Die Palastanlage ist ungewöhnlich groß und hat die Ausmaße einer Kleinstadt. Unter kaisergelb glasierten Dächern wohnte hier der Himmelssohn nebst Gattin, sonstiger Gespielinnen und der Dienerschaft - insgesamt einige tausend Personen. Da sonst niemand den Palast betreten durfte ist er auch als die Verbotene Stadt bekannt geworden.

 

Als wir den Palast betreten ist es mittlerweile Mittag geworden und die Hitze versucht die des Vortages noch zu übertreffen. Bei aller Schönheit der Architektur macht es sich hier bemerkbar, daß die verbotene Stadt durchgängig gepflastert ist. Nirgendwo ist ein Stückchen Grün oder ein schattiges Plätzchen zu entdecken, das Zuflucht vor der brütenden Hitze bieten würde. Erst nach dutzenden Tempeln, Thron- und Audienzhallen finden wir den kaiserlichen Garten, wo wir im Schatten eine köstliche Erfrischung nehmen.

 

Auch im Kaiserpalast sind wir wieder senationelles Motiv für die hiesigen Fotoapparate (die Tempel sind nichts dagegen). Bei zwei jungen Japanerinen lassen wir es uns dann nicht mehr gefallen und fotografieren zurück. Daraus entwickelt sich dann lustigerweise ein regelrechtes Fotografier-Duell, bei dem einige bemerkenswerte Fotos entstanden sind.

 

Gegen 15°° Uhr haben wir dann den Kaiserpalast mit all seinen baulichen, musealen und sonstigen Kostbarkeiten abgehakt. Nun verspüren wir Hunger. Nicht weit vom Tian’anmen finden wir eine Gaststätte mit englischer Speisekarte (man geht die Straße rechts neben dem McDonald hinein und läßt Kentucky fried chicken und die Dönerbude tapfer links liegen: etwa hundert Meter sinds bis zum Restaurant).

 

Trotz der englischen Seisekarte haben wir auch dieses Mal eine Niete gewählt. "Hühnchen nach wasweisichfüreine Art" entpuppte sich als Hühnerfüße, süß-sauer zubereitet und kalt aufgetragen. Getreu unserem Motto "gegessen wird was auf den Tisch kommt" versuche ich sie mit den Stäbchen zu packen. Die Hühnerfüße sind glitschig und es wird zum Geduldsspiel bis ich endlich einen im Munde habe. Ich schiebe mir das Ding von einer Backe zur anderen. Außer oben beschriebenes Geschmackserlebnis finde ich nichts daran, was mir den Magen füllen wird. Ich beschließe, daß Hühnerfüße die Speise ist, die ich nicht essen werde. Auch Volker ist zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt. Die anderen probieren erst garnicht.

 

Immerhin sind die übrigen Gerichte ebenso schmackhaft wie nahrhaft, so daß wir nach einer guten Stunde satt und zufrieden die Gaststätte verlassen. Es schließt sich ein Bummel durch das umgebende Stadtviertel Liulichang an. In diesem Stadtteil wurden, wie es der Name schon sagt, die (Dach)ziegel für den Kaiserpalast gebrannt. Es ist noch ein Stück altes Peking, welches den städtebaulichen Wahn des Großen Vorsitzenden überlebt hat. Die kleinen eingeschossige Häuser und die engen Gassen haben einen ganz eigenen Charme und nach dem gigantischen Tian’anmen und den Aufmarschpisten, die ihn umgeben ahnen wir hier etwas vom alten China.

 

Die kleinen, mittelalterlich schmalen Gassen mit ihren meist eingeschossigen, einfachen Häusern bieten ein Bild, wie Peking wohl noch vor hundert Jahren ausgesehen haben mag. So wirkt der auch hier vorhandene Mark auf den Straßen viel unmittelbarer als im Neubaugebiet an unserem Hotel. Ein regelrechter orientalischer Basar.

Beim Bewundern der Auslagen kommen wir mit einer jungen Chinesin ins Gespräch. Sie erzählt von einem Markt ganz in der Nähe, auf dem Antiquitäten angeboten werden. Die Ausfuhr echter Stücke aus China ist streng verboten, so haben wir nicht wirklich vor etwas zu kaufen. Aber da unsere neue Bekannte so voller Entusiasmus von dem Markt erzählt, nehmen wir neugiershalber ihr Angebot an und lassen uns von Ihr dorthin führen.

Es geht ein ganzes Stück in das Stadtviertel hinein. Unterwegs erfahren wir, daß unsere Begleiterin an der Pekinger Uni Malerei studiert. Daher auch ihr ganz passables Englisch. Zur Zeit ist sie damit beschäftigt studentische Bilder für eine Ausstellung zusammenzustellen. Die Arbeiten befinden sich in einem Haus ganz in der Nähe. Als wir dafür echtes Interesse zeigen, lassen wir Antiquitäten Antiquitäten sein und folgen ihr dorthin.

Nach ein, zwei Straßenecken sind wir da und stehen vor einer jener Hütten, aus denen das ganze Stadtviertel besteht. Drinnen ist das Platzangebot sehr bescheiden, als wäre eine Garage zu einem Malstudio umgenutzt worden.

Gleich am Eingang ist ein junger Chinese damit beschäftigt ein Bild zu malen. Die "Staffelei" ist ein alter Holztisch, der den vorderen Teil des Zimmers einnimmt. Zum Abschied wird er uns seine Visitenkarte geben, die ihn als Herrn He Jing Ming, Lehrer im Lehrstuhl für traditionelle Malerei auswiest.

 

Unsere Begleiterin gibt ihm die Utensilien, die sie auf dem Markt besorgt hat und führt uns in den hinteren Teil, wo die fertigen Bilder lagern. Wir nehmen auf einer bequemen Couch Platz und bekommen die Kunstwerke erklärt. Es sind überwiegend Bilder mit den typisch dekorativen Motiven, die der gemeine Mitteleuropäer mit chinesischer Malerei verbindet. Die Bilder, welche ausgestellt werden sollen, entsprechen keineswegs diesen Motiven. Vielmehr sehen wir eine recht naive, volkstümliche Malerei die das Dorfleben darstellt, wie man sie etwa auch in der Oberlausitz antrifft. So lernen wir eine ganz andere traditionelle Malerei Chinas kennen als erwartet.

Nach einer Weile fassen sich Ina und Ricardo ein Herz und fragen ob sie ein Bild käuflich erwerben können. Natürlich ist der Dollar auch hier gern gesehen. Die Bilder mit der naiven Malerei sind jedoch nicht zu veräußern. So können die beiden nur aus den bekannten chinesischen Motiven auswählen, wie Kranich im Mondschein oder auch Flußlandschaft im Morgennebel. Schließlich sucht sich jeder von uns ein Bild heraus, denn so ein Original ist ein schönes Andenken an China. Wir sind ein wenig besorgt, ob die Stücke heil bis nach Hause kommen werden. Wir bekommen ein paar stabile Papphüllen zu den Bildern, dank derer uns das auch gelingt.

 

Es ist mittlerweile spät am Nachmittag und wir beschließen den Rückweg anzutreten. Anfangs sind wir ein wenig unsicher, ob der Rückweg aus dem Gassengewirr so einfach zu finden sein wird, die Straßen und Hütten sehen alle ziemlich gleich aus ....

Für den mitteleuropäischen Beobachter bieten sie auch ein ziemlich ärmliches Bild. Auf Grund der hier fehlenden Kanalisation wirkt das Viertel nicht sehr malerisch.

Die Einwohner sind jedoch gepflegt gekleidet und scheinen das Beste aus ihrer Situation zu machen. In den Gassen der Altstadt wird sich auf den Abend vorbereitet. Die Leute holen lange Tische auf die Straße und beginnen unter freiem Himmel das Abendbrot vorzubereiten. Die Größe der Tische und die Enge zwischen den Häuschen läßt darauf schließen, daß hier jeweils die nähere Nachbarschaft Platz nehmen wird. Da die Zubereitung vor der Tür erfolgt, können die ersten am Tisch Sitzenden bei einem kühlen Glas zusehen, was sie zum Abenbrot erwarten wird.

 

Nach einer Zeit des Herumirrens sehen wir irgendwann in einiger Entfernung das McDonald - Zeichen von einem Hochhaus herüberblinken - dort ist der Tian’anmen. Es ist schon ein wenig sonderbar dieses Symbol des Westens hier in China quasi als Wegweiser zu haben. Mit einem Taxi gehts zum Hotel zurück

 

Als es dunkel wird beginnt in den Straßen rund um das Hotel wieder das Leben. Auch wir stürzen uns nochmal ins Getümmel. Neben den Markständen und Buden haben zum Sonntag abend auch die Supermärkte und Kaufhäuser geöffnet (es ist 22°° Uhr!). Wir denken an die Diskussionen, die es in Deutschland zum Thema Ladenschlußgesetz gab.

 

Die Leute sind wieder auf der Straße, um Dame zu Spielen, noch einen Happen von den Freßständen zu essen oder einfach um zu Quatschen. Auf einer dieser breiten, mehrspurigen Straßen werden ein, zwei Spuren von einer Truppe okkupiert, die zu Trommel- und Flötenklängen tanzt. Wir können uns das ganze von einer Fußgängerbrücke aus von oben ansehen. Einige Tänzer mit Fächern und chinesischen Masken bewegen sich in einerArt Polonaise im Kreis. Ringsum steht eine stattliche Menschentraube und zwanglos reihen sich die Umstehenden mit zum Tanz ein. So bieten Kostümierte, Schlipsträger und mit Baseballmützen bewaffnete Jugendliche ein originelles Bild zu der fremdartigen Musik.

 

Im Zimmer von Specki und mir werten wir alle sechs noch die Erlebnisse des Tages aus, worunter unsere Vorräte an Gastgeschenken wiederum leiden. Am nächsten Tag soll eine Fahrt zu den Gräbern der Ming-Kaiser und an die große Mauer stattfinden. Da wir dafür einen Reiseführer gestellt bekommen, der uns früh abholen will, gehen wir doch irgendwann ins Bett.

 

 

 

Montag: 28. Juli, Peking:

 

Es gibt wieder Frühstück der bewährten europäischen Art. Pünktlich nachdem wir aufgegessen haben taucht der Reiseführer in der Hotelbar auf. Es ist eine junge Chinesin von angenehmen Äußeren, die darüberhinaus ganz gut deutsch spricht. Wir stellen einander vor, wobei es doch einige Schwierigkeiten bei der Aussprache der Namen gibt. Im weiteren werde ich unsere Führerin Duan nennen, was ein relativ faßliches Teilstück ihres vollen Namens ist.

 

Draußen wartet ein Fahrer des Reisebüros mit einem Kleinbus auf uns und los geht die Fahrt nach Norden. Die Autofahrt führt quer durch die Stadt, da unser Hotel im Süden liegt. Geschäftszentren mit Glaspalästen wechseln sich mit traditionellen Wohnviertel, den Wohnblocks von Neubaugebieten und Grünflächen ab. Nach einer guten Stunde sind bereits Getreidefelder zu sehen danach wieder eine große Stadt, so geht es weiter im Wechsel. Irgendwann fragt Specki was denn das jetzt für eine Stadt sei, durch die wir gerade fahren. Unsere Begleiterin antwortet milde lächelnd, es sei immer noch Peking.

 

Unterwegs ist genug Zeit zum Unterhalten, und wir erfahren, daß Duan seit zwei Jahren Germanistik studiert. Üblicherweise bessert sie sich ihr Stipendium durch Nachhilfeunterricht für Schüler auf. Im Sommer kann sie durch Ihre Sprachkenntnisse die Gelegenheit nutzen, um beim Reisebüro zu jobben. Wir sind ihre erste Touristengruppe, quasi die Premiere.

 

Gegen Mittag treffen wir an den Ming-Gräbern ein. Sie sind eine ziemliche Touristenattraktion und so ist der Parkplatz davor voller Autos und Busse. In einer weitläufigen Parkanlage am Rande der Berge befinden sich die Grabtempel der Ming-Dynastie.

 

In unterirdischen marmornen Grabkammern ruhten hier dereinst die Mingkaiser nebst Ehefrauen und etlicher Hofschranzen. Heute befinden sich die Gebeine, wie auch die Grabbeigaben in Museen in Peking, so daß wir nur die leeren Grabkammern zu sehen bekommen.

Unsere Überwältigung hält sich dadurch in Grenzen. Beeindruckt sind wir nur durch die Massen an Leuten, die durch die Grabstätten gepfercht werden. Es gibt wirklich viele Chinesen!

 

Wir haben bald genug des Trubels und fahren weiter zur Großen Mauer. Badaling, wo wir die Mauer besichtigen, liegt mitten im Gebirge. Hier war seit jeher ein Tor nach Norden, weshalb sich an dieser Stelle ein Handelszentrum entwickelte. So lassen sich hier neben der Mauer auch Zollstationen, Alte Handels- und Lagergebäude und doppelte Wehranlagen zur Torsicherung bewundern. Diese Anhäufung von touristischen Attraktionen führt zu basteiartigen Zuständen. (Empfehlenswerter ist die Besichtigung der Großen Mauer bei Mutianyu etwa 15 km entfernt, dort ist das Mauerstück schöner und weniger überlaufen , das erfahren wir aber erst im nachhinein).

 

Durch die Lage im Gebirge ist es in Badaling nicht so heiß wie in Peking. Leider muß man die diesige Luft schon als Nebel bezeichnen. Wir sehen die Mauer nur ein paar hundert Meter weit, dann verschwindet sie im Nebel. Durch die steilen Berge sieht das aber sogar sehr romantisch aus.

 

Steht man vor der Mauer, ist sie in ihren Dimensionen nicht so gigantisch, wie ich sie erwartet habe. Mit etwas über sechs Metern Höhe und fünf Metern Breite auf der Krone (acht Soldaten mußten nebeneinander marschieren können) wirkt sie eher durchschnittlich. Was sie so außergewöhnlich macht ist die enorme Länge von stolzen 5.000 km. Was da im 3. Jhdt. vor der Zeit fertiggestellt wurde umfaßt damit 200 Mio. m3 Mauerwerk. Ein solches Bauwerk heute herzustellen würde 100 Mrd. DM kosten, was ungefähr das ypsenfache der Kosten der neuen, internationelen Raumstation Alpha ist (Kein Land der Welt kann sie allein bezahlen). Aus der Großen Mauer könnte man über eintausenddreihundert Cheopspyramiden bauen!

 

Man muß allerdings sagen, daß die Großtat des Mauerbaues nicht mit einem Schlag erfolgte. Als China vor über zweitausend Jahren noch in viele kleinere Staaten geteilt war, grenzten sich diese bereits mit derartigen Mauern ab. Als der Barbareneinfall aus dem Norden drohte, brauchten die schon vorhandenen Teilstücke "nur" noch verbunden werden.

 

Wir laufen ein ganzes Stück die Mauer entlang, die sich ziemlich steil die Berge hinaufwindet. Duan sagt uns, daß es möglich ist den überwiegenden Teil der Mauer mit dem Fahrrad entlang zu fahren. Das wäre für eine spätere Urlaubstour ein lohnenswertes Vorhaben. Auch das Gebirge hier macht einen passablen Eindruck. Specki und ich bereiten im Geiste schon eine Tour quer durch die Berge, einschließlich boofen vor. Wir erfahren jedoch, daß diese Art Tourismus hier völlig unbekannt ist. Für Bergwanderer stehen keinerlei Hütten oder sonstigen Unterkünfte zur Verfügung. Auch Duan schaut uns ungläubig an, daß es in Europa üblich sein soll in der Freizeit zu Fuß durch Berge zu gehen. Wenn man hier also mit dem Rucksack auf dem Buckel ins Gebirge startet, sollte man sich darauf gefaßt machen von der Polizei weggefangen zu werden, wegen Bildung einer illegalen Guerillagruppe oder einfach wegen Geistesschwäche.

 

 

Für den Bustourismus ist Badaling gut vorbereitet. Mann kann sich auf einem Thron als Kaiser von China fotografieren lassen oder auf einem Kamel sitzend. Für ganz hartgesottene steht eine Sänfte zur Verfügung. In der kann man sich von folkloristisch gekleideten Chinesen eine Runde über den Vorplatz tragen lassen. Damit das auch allseits bemerkt wird, spielen dazu ein paar Musikanten fernöstliche Tsching-Bumm-Musik. Wer solchen Blödsinn nich mag, kann sein Geld für Ansichtskarten, verkitschte Souveniers und sonstigen Nepp ausgeben, zu saftigen Preisen versteht sich. Auch wir sind wieder beliebte Foto-Objekte, vor allem die Kinder wollen sich gern mit Europäern fotografieren lassen.

 

Nach etwa einer Stunde beginnt es aus den nebligen Wolken zu regnen. Wir gehen also wieder zum Bus und fahren zum Mittagessen, welches bei dieser Tour inclusive ist. Duan verspricht uns traditionelle Kost. Die haben wir mittlerweile auch nötig, denn es geht auf 14°° Uhr zu. Es dauert eine halbe Stunde Autofahrt, bis wir an einem gigantischen Freßtempel halten. Der stammt aus tiefsten sozialistischen Zeiten. Früher wurden hier zahlungskräftige Touristen aus der westlichen Hemisphäre um ihr Hartgeld erleichtert. Mittlerweile steht es auch für chinesische Touristen offen, da nun auch der Yuan akzepiert wird.

Das palastähnliche Gebilde ist in seiner Pracht durchaus mit einer Moskauer Metrostation vergleichbar. Im Obergeschoß befindet sich das eigentliche Restaurant. An großen runden Tischen können hier etliche dutzend Reisebusladungen Touristen gleichzeitig verköstigt werden. Hier soll es also traditionelle Küche geben, - so, so ...

Als wir an dem uns zugewiesenen Tisch Platz nehmen, verabschieden sich Duan und der Fahrer höflich aber bestimmt für eine Stunde. Sie werden nicht mit uns essen, sicher erlaubt die knappe Kalkulation des Reisebüros keine zwei zusätzlichen Esser. Schade, denn die für uns überaus interessanten Gespräche, die wir mit unserer Begleiterin im Bus über Gott und die Welt geführt haben, hätten wir gern bei Tisch fortgesetzt. Was hier aufgefahren wurde hätte auch locker für acht Personen gereicht. Der Tisch war viel zu klein für all die Platten und Schüsseln und es dauerte eine ganze Weile, bis alles seinen Platz gefunden hatte. Es war ein köstliches Mahl voller ausgesuchten Leckereien (und ohne Nieten), farbenfroh und sinnfreudig hindekoriert.

Kaum zu glauben, daß es Fließbandessen war. Zich Kellner und Kellnerinnen versorgten hunderte Gäste an den Tischen mit unuterbrochener asiatischer Beflissenheit. Die ganze Veranstaltung war eine höchst seltsame Mischung aus Gourmet-Restaurant und Schnellimbiß in Sportplatzgröße. So hat sich Mao sicher das Paradies für die Massen vorgestellt.

 

Wir langen natürlich ordentlich hin und verlassen unseren Tisch pappsatt. Die Fahrt geht weiter durch strömenden Regen. Eigentlich sollten wir noch eine Glasmanufaktur besuchen, " ... wo die Möglichkeit besteht auch einige Dinge zu erwerben". Durch Baustellen auf den Straßen und nicht zuletzt durch den strömenden Regen kommt der Terminplan ins hängen und wir fahren gleich nach Peking zurück.

 

Wie bereits angedeutet, nutzen wir die Gelegenheit und fragen Duan über das Leben in China Löcher in den Bauch. Schließlich ist uns die Gelegenheit das bei Gasteltern kennenzulernen entgangen.

 

Als erstes verlieren wir das Vorurteil, daß Chinesen kein "R" sprechen können. Als wir Duan erzählen, das dies in Europa eine weit verbreitete Annahme ist und die Chinesen dafür "L" sagen würden, ernten wir ungläubiges Staunen. So dumm können Europäer sein ?! Chinesen können ohne weiteres "R" aussprechen! Um die abendländische Fehlinformation zu untermauern geben wir einen jener Chinesen-Witze mit der typischen "R"/"L" Verwechslung zum besten. Duan kontert mit einem Ossi-Witz (wir sind alle sechs Ossi`s).

Das bringt und einigermaßen aus der Fassung, soviel Insiderwissen zu den innerdeutschen Angelegenheiten hätten wir hier nicht erwartet. Nachdem uns Duan erzählt, daß sie solche Witze von ihrem Deutsch-Professor (ein Bayer aus München) lernt, erweitert Ricardo ihre Allgemeinbildung um einige Wessi-Witze.

 

Duan will versuchen einen Teil ihres Germanistik-Studiums oder wenigstens ein Praktikum in Deutschland zu absolvieren. Mit unserer Frage, ob sie denn einfach so ins westliche Ausland fahren könne, weis sie nicht viel anzufangen. Wir erläutern ihr die Zustände in der DDR, die man vorsichtig mit eingeschränkter Reisefreiheit umschreiben kann. Derartige Restriktionen gibt es in China nur für Taiwan und Honkong (und Tibet d.Verf.). Die Auslandsreise ist für Chinesen hauptsächlich eine Frage des Geldes und der Einreisebestimmungen des jeweiligen Landes in das man fahren möchte. Hinsichtlich Deutschland sind wir ihr da keine Hilfe, da wir nicht viel Ahnung von den deutschen Einreisebestimmungen hinsichtlich Ausbildung bzw. Arbeit für Chinesen haben. Wer über Kenntnisse oder Möglichkeiten verfügt kann sich ja mal bei uns melden.

 

Informationsfreiheit ist im Kommunikationszeitalter in China kein Problem. So werden wirtschaftliche Themen offen behandelt (z.B. Entlassungen und Arbeitslosigkeit im Zuge der Reformen). Bei politischen Tehmen sind chinesische Medien teilweise noch vorsichtig (sicher nicht ohne Grund). Dafür sind jedoch CNN oder Sender aus Taiwan über Satelit zu empfangen.

 

Für den Durchschnittchinesen steht dabei aber eine Sprachbarriere. Daß Englischkenntnisse zum Verständnis von CNN eher selten sind haben wir schon geahnt. Daß aber auch zu den Sendungen Taiwans eine Sprachbarriere existiert, ist neu für uns. Das Chinesische ist keine einheitliche Sprache, es existieren vielmehr in eine Vielzahl von unterschiedlichen Dialekten. So kommt es vor, daß sich die Chinesen nicht verständigen können, wenn sie aus voneinander entfernten Teilen des Landes kommen. Die Sprache in Taiwan unterscheidet sich vom Pekinger Chinesisch so etwa wie das Deutsche von Schwedisch.

 

So werden uns die fehlenden Englischkenntnisse des jungen Mannes am Reisebüroschalter auf dem Flughafen eher verständlich. Er hat sicher genug Mühe gehabt an die dreißig, vierzig chinesischen Dialekte zu erlernen.

 

Mit solchen Themen vergeht die Rückfahrt einigermaßen zügig. Trotzdem kommt unser Fahrer in Zeitnot. Es soll noch Leute vom Flughafen abholen. Durch den Berufsverkehr in der Stadt würde er den Termin nicht schaffen, wenn er uns bis vor das Hotel fährt. So steigen wir unterwegs aus und nehmen für den Rest des Weges ein Taxi (der Veranstalter zahlt ...).

Die niedlichen Taxi-Kleinbusse heißen übrigens im Volksmund "Brötchen". So sehen sie auch aus: klein, gelb und rundlich.

 

Im Hotel ist erstmal eine Verschnaufpause angesagt. Wir verbringen ein Stündchen mit abruhen oder Ansichtkarten schreiben. Danach geht es zum Abendbrot wieder in das Kneipchen, in dem wir am ersten Tage zu Abend speisten. Unsere heutige Niete ist eine Schüssel Glasnudeln, die in einer süss-sauren Soße schwimmen. Vom Geschmack her sind sie garnicht so schlecht, das Problem jedoch ist ihre glibbrige Konsistenz. Der Versuch sie mit den Stäbchen zu fassen zu bekommen endet für mich fast in einem Anfall von Wahnsinn, bei den anderen in einem Anfall Gelächter.

 

Nicht lachen können wir dagegen darüber, daß dieses mal kein Reis aufgetragen wird, obwohl wir welchen bestellt hatten. So machen wir mit einer weiteren Besonderheit der Chinesischen Küche Bekanntschaft: Suppe und Reis gibt es erst zum Schluß, quasi zur Beruhigung der Geschmacksnerven. Nachdem wir jedoch sagen, daß wir den Reis gleich serviert haben wollen bekommen diesen seltsamen Wunsch erfüllt.

 

Nach dem Mahl lassen uns wir uns zum Tagesausklang - und Urlaubsgrüße schreiben - an der Hotelbar nieder. Aufgrund des erneut ziemlich anstrengenden Tages sind wir bereits nach den ersten zwei, drei Getränken ziemlich lustig und es entstehen ein paar Ansichtkarten, die man nur wirklich guten Freunden schicken kann. Wer eine solche bekommen hat kann sich freuen.

 

 

 

Dienstag, 29. Juli, Peking:

 

Mit Klimaanlage kann man tatsächlich locker bis Achte ausschlafen. Dann heist es aber aufstehen, um nach dem Baddurchgang noch Frühstück in der Hotelhalle zu bekommen (wird bis 9°° Uhr serviert).

 

Bevor wir in die Stadt gehen, wollen wir noch schnell eine Post finden um Briefmarken zu kaufen und die Postkarten abzuschicken. Wir gehen auf gut Glück durch das benachbarte Wohngebiet, das ziemlich neu zu sein scheint. Einige der 15 bis 20 geschossigen Wohnblocks sind noch im Bau.

 

Nach ein paar Querstraßen finden wir dann tatsächlich eine Post. Das Porto nach Europa beträgt 4,20 Y mit Luftpost (ca. 10 Tage bis Deutschland). Gerade wollen wir beginnen die Marken für das Aufkleben mit der Zunge anzulecken, da weist uns ein freundlicher Chinese auf eine für diesen Zweck angefeuchtete Rolle im Schaltertisch hin. Wir sind ihm für diesen Tip dankbar, denn wir haben um die vierzig Karten zu verschicken und chinesischer Briefmarkenleim schmeckt nach eingeschlafenen Füßen, genau wie der deutsche.

 

Nachdem die Post erledigt ist schnappen wir uns ein Brötchentaxi und fahren ins Zentrum. Heute wollen wir auf der Wangfujing Dajie einkaufen. Die Wangfu ist eine der großen Einkaufsstraßen Pekings. Hier fehlen die typischen Marktstände und es gibt Läden und Kaufhäuser wie in Europa auch. Man kann unter schattigen Laubbäumen entlangschlendern und bekommt so für den Schaufensterbummel die Hitze etwas abgemildert.

 

Ricardo und Ina sind nach einem echten chinesischen Teeservice unterwegs, während Specki und ich die Tonträgerabteilungen der Kaufhäuser aufsuchen. Das Angebot an internationaler Rock- und Popmusik ist ansprechend. Unsere Hoffnung billige CD’s (Raubkopien? - mir doch egal!) kaufen zu können erfüllt sich nicht. Die Preise sind wie in Deutschland. Da hat der Druck der Amerikaner hinsichtlich Urheberrechten, zumindest in Peking, Wirkung gezeigt. Specki kauft sich wenigstens eine Scheibe mit hiesiger Folklore.

 

CD-ROMs mit Computerprogrammen sind dagegen noch recht preiswert. Ein Office-Paket von Microsoft oder Corel gibt es schon für rund zwanzig Mark. Wir greifen trotzdem nicht zu, da wir befürchten, daß nach Programmstart vieleicht ein Menü in chinesischer Schrift herunter klappt. Es gibt bemerkenswerterweise Unmengen an Video-CD’s, fast mehr als mit Musik.

 

Auch wenn wir nichts passendes finden, ist der Einkaufsbummel ganz interessant Es gibt einen Kontrast zwischen relativ europäisch anmutenden Lebensräumen und den althergebrachten. Das Leben auf der Straße verbindet beide. Ob Fahrradwerkstatt, Schuhputzer oder Friseur, jeder der Berufe wird auch unter freiem Himmel ausgeübt. In den von Touristen bevölkerten Gegenden wird auch recht nachdrücklich um Kunden geworben. Immer wieder fordern Postkartenverkäufer oder Rikscha-Fahrer zur Inanspruchnahme iherer Dienste auf. Auf der Wufang erbot sich ein Schuhputzer sogar meine Römer-Sandalen zu putzen.

Gelegentlich wird auch gebettelt, aber das ist wirklich sehr selten. Wir sahen lediglich in einer Fußgängerunterführung einige Krüppel und Alte um Almosen bitten.

 

Auf der Wangfu wird, wie in der ganzen Stadt viel gebaut. Hier sind es moderne, große Büro- und Geschäftszentren. Wie überall auf der Welt aus Beton, Stahl und Glas. Immerhin findet sich in den meisten Bauten ein Schuß chinesischer Formensprache wieder, ohne kitschig zu wirken. Doch auch die gänzlich modern gehaltenen Häuser sind ziemlich geschmachssicher gestaltet, häßliche Häuser sind selten.

 

Auf den Bauschildern lesen wir, daß diese Bauten mit Hilfe internationaler Kapitalgesellschaften gebaut werden Ja, ja, China boomt und die großen interantionalen Konzerne wollen von dem Riesenmarkt ein Stück vom Kuchen abhaben.

Die hiesigen Läden hatten auch bisher volle Regale und zwar zu 99% voll mit in China hergestellten Produkten! Niemand braucht die Waren des Westens wirklich.

Sollte nun z.B. Coca-Cola hier Fabriken bauen, um den lohnenden chinesischen Markt abzudecken, dann müßten theoretisch Mengen gebraut werden, um 1,3 Mrd. Menschen zu versorgen! Mit solchen Kapazitäten lassen sich die 250 Mio. US-Amerikaner locker mitversorgen. Zumal unter Lohnkosten, die auch den Transport der Brause über den Teich wirtschaftlich machen.

Mann sollte also auch immer im Auge haben, anstatt eines großen Absatzmarktes einen riesen Produzenten zu bekommen ...

 

In einem Restaurant auf der Wangfu stillen wir unseren Hunger und gehen dann in die Richtung, in der wir den Tien’anmen vermuten. Dabei kommen wir wieder durch so ein Gebiet mit engen Gassen und eingeschossigen Häusern.

Durch die fehlende Kanalisation gibt es in diesen Vierteln meist kleine Hütten mit Gemeinschaftstoiletten. Ich habe vor unserer Fahrt gelesen, daß diese Einrichtungen Plätze der Kommunikation sind, wie bei uns etwa der Brunnen auf dem Dorfplatz. Deshalb gibt es zwischen den Kauernden keine Sichtblende, die gemeinsame Gespräche nur behindern würde. Muß man als Europäer einmal eine solche Einrichtung aufsuchen, ist man regelmäßig der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Es könnte ja etwas anders funktionieren als bei Chinesen ...

Wir wollen nachprüfen, ob man uns da in der Heimat einen Bären aufgebunden hat. Bei einem dieser Häuschen, bei dem wir vermuten, daß es gerade nicht besetzt ist, gehen wir in die Tür, die wir für die "Herrenabteilung" halten. Es ist eines jener Klos mit Löchern im Fußboden, Jedoch sind jeweils links und rechts Holzwände, nur nach vorn hin sind die Boxen offen. Wieder was gelernt !

(Das Badezimmer im Hotel hatte übrigens mitteleuropäischen Standart, also Sitz sowie Badewanne und Waschbecken)

 

Endlich kommen wir an der Nordseite der Verbotenen Stadt heraus. Hier befindet sich ein Park, in dessen Mitte sich ein Hügel befindet. Der Hügel wurde dereinst aus dem Aushub des Wassergrabens aufgeschüttet, der die Verbotene Stadt umgibt. Wir erklimmen diese einzige nennenswerte Erhebung Pekings und haben Ausblick über die Stadt. Leider ist durch die diesige Luft der Blick sehr begrenzt. Immerhin sehen wir den Kaiserpalast von oben und beobachten die Touristenmassen die in der Hitze das steinige Areal erobern.

Die chinesische Gartenarchitektur hier im Park entfaltet ihren vollen Reiz. Überall sind kleine schattige Pavillons und ringsum grünt und blüht es. So haben wir noch etwas Entschädigung dafür, daß wir uns aus Zeitgründen weder den Beihai-Park (mit Gondelsee) noch den Sommerpalst ansehen konnten.

 

Schließlich fahren wir zum Hotel zurück. Morgen früh ist die Abreise aus Peking, was gleichzeitig den ersten Teil unserer Zugfahrt bedeutet. Also gehen wir nochmal in einen Kaufmannsladen um etwas Reiseproviant zu erstehen.

 

Bei Milchprodukten ist das Angebot eher dünn. Für Chinesen ist Joghurt, Quark oder auch Käse nichts weiter als vergammelte Milch. Im Laden ist daher das Angebot an diesen Erzeugnissen gleich Null. Lediglich unverdorbene Milch und Butter ist zu haben, als holländische Importware versteht sich (die einzigen nichtchinesischen Erzeugnisse, die ich im Laden finde).Schließlich haben wir genügend Proviant eingekauft, um die zwei Tage Zugfahrt nach Ulan-Bator zu überstehen.

 

Nocheinmal tauchen wir in das beginnende Abendleben auf den Straßen rings um das Hotel ein. Ein letztes Mal bewundern wir den Fächertanz, der heute wieder aufgeführt wird.

Volker stellt sich an eine der Grillbuden an. Für den hingereichten Geldschein bekommt er ein ganzes Bündel gegriller Hammelspieße. Wir helfen ihm beim aufessen alle mit. Die "Schaschliks" sind ziemlich klein und keinesfalls zum Sattwerden gedacht. Jedoch, über dem offenen Holzkohlefeuer scharf angebraten und ordentlich gewürzt, sind sie gute Appetithäppchen.

 

 

 

Mittwoch, 30.Juli 97, Peking:

 

Heute ist zeitiges Aufstehen angesagt. Gegen 6°° Uhr morgens kommen Duan und der Fahrer mit dem Kleinbus und fahren uns zum Bahnhof. Sie haben unsere Fahrkarten mit, die wir auf allen Stationen erst kurz vor der Abfahrt erhalten werden. Auf dem Bahnhof ist allerhand los und wir sind ganz froh, daß Duan uns begleitet. Mit Ihrer Hilfe finden wir das Abfahrtsgleis recht zügig, obwohl auch sie ein paarmal fragen muß.

 

 

Es ist noch etwa eine halbe Stunde Zeit und der Zug Nummer 4 von Peking nach Moskau steht bereits abfahrbereit auf dem Gleis. Die Züge der Transsib sind mit Nummern versehen, wobei eine niedrige Nummer einen hohen Komfort bedeutet. Der Zug Nummer 1 ist der beste und fährt von Moskau nach Wladiwostock. Zug Nummer zwei ist der identische Zug, nur auf der Rückstrecke Wladiwostock-Moskau.

Zug Nummer drei (also das zweikomfortabelste Exemplar) fährt von Moskau nach Peking. wir fahren mit ihm die Rückstrecke als Zug Nr. 4 .

 

Nachdem wir unseren Wagen gefunden haben (ohne Platzkarte läuft garnichts!), wuchten wir unser Gepäck in den Zug. Als wir die Abteile sehen stockt uns der Atem. Wir hatten 2. Klasse gebucht, um die Reisekosten im Rahmen zu halten. Das hier ist aber ohne jeden Zweifel die erste Klasse! Es sind jeweils Zweibettabteile mit Wurzelholzfurnier an den Wänden und blauen Samtpolstern, die Naßzelle ist im Abteil.. Uns wird etwas mulmig bei der Aussicht, in diesem Abiente nach Ulan-Bator reisen zu sollen. Wir überprüfen Wagen- und Abteilnummer - sie stimmen. Auch der Wagenschaffner beteuert die Richtigkeit und freut sich, uns begrüßen zu können. Duan kann auch nichts aufklären, sie sollte uns die Tickets nur geben und hat keine Ahnung, ob das mit der ersten Klasse in Ordnung geht.

 

Schließlich geht uns ein Licht auf. Die Erste Klasse Tickets, ebenso wie die Unterbringung im Hotel, sind möglicherweise Entschuldigungsgesten für die verspätete Abholung am Flughafen. Für einen Chinesen gibt es nichts Schlimmeres, als die Beherrschung zu verlieren oder gar herumzubrüllen. Zweitgrößte Sünde ist bereits die Unpünktlichkeit (!). Bei beidem verliert er sein Gesicht und wird es niemals öffentlich eingestehen. Unsere Urlaubstour hat jedenfalls durch diese chinesische Eigenarten an Komfort gewonnen.

 

Als der Zug anrollt haben wir uns mit unserer Situation abgefunden. Bei allem Luxus gibt es jedoch die Einschränkung zu machen, daß im Waggon keine Klimaanlage vorhanden ist (das schrottigste Taxi hatte eine ...). Lediglich über dem Fenster ist ein Venilator angebracht. Nachdem der unter Ächzen drei, vier Stunden die Luft umgerührt hatte, fiel er aus. Neben dem WC befand sich ein Schild mit den technischen Daten des Anhängers. Wir lesen, daß er im Waggonwerk Ammendorf hergestellt wurde.

 

Die fehlende Klimaanlage bietet den Vorteil, daß sich die Zugfenster öffnen lassen. So macht das Rausgucken viel mehr Spaß und es läßt sich während der Fahrt auch besser fotografieren.

 

Es gibt auch allerhand zu sehen. Während der ersten Stunden fahren wir ein Stück an der Großen Mauer entlang. Alle halbe Stunde sind Mauerreste ehemaliger Karawansereien zu sehen, in denen früher die Reisenden auf dem Handelsweg in die Mongolei einkehrten. Auch heute ist das Wetter ziemlich diesig. So haben wir wieder den gleichen, etwas eingeschränkten, dafür aber sehr romantischen Blick, wie auch beim ersten Mauerbesuch.

 

Zur besseren Erschließung der Großen Mauer und sicher auch des ganzen Gebirges wird gerade eine Autobahn gebaut, die parallel zu unserer Bahnstrecke verläuft. Wie auch beim Mauerbau wird dabei von den Chinesen nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Autobahnbrücken und -tunnel haben beeindruckende Ausmaße. Verkleidet werden diese Bauwerke mit aufwendigen Natursteinmauern, und man hat den Eindruck, daß für das Bauvorhaben Autobahn nicht gerade gespart werden muß. Es sind genügend (!) Arbeiter auf der Baustelle zu sehen, nur die LKW’s machen noch einen recht mittelalterlichen Eindruck, sie klappern, qualmen und stinken.

 

Nach ein paar weiteren Stunden haben wir das Gebirge verlassen. Nach der Großstadt Peking und dem Touristenzentrum von Badaling führt uns die Bahnlinie durch eher ländliches Gebiet. Wir fahren an Dörfern vorbei, die aus den herkömmlichen Lehmziegelbauten bestehen, die Dorfstraßen sind kaum befestigt. Logischerweise sind zur Bahnschiene hin auch immer die Hinterhöfe und Müllplätze gelegen. Reinlichkeitsfanatische Deutsche, die ihren Rasen mit dem Kamme scheiteln, wenden sich hier mit Grausen. Wer jedoch zweimal hinsieht, kann nich verhehlen, daß auch auf dem Dorf die Zeichen auf Aufschwung stehen. So manches Dach ist mit roten Ziegeln neu gedeckt und leuchtet aus dem Schmutzigbraun der Lehmhäuser heraus. Vereinzelt sind auch Neubauten der Dorfhäuser ganz aus gebrannten Ziegeln zu sehen.

 

Die Wirtschaftreformen von Deng Xiaoping schließen auch die Landwirtschaft ein. So können sich die Bauern mittlerweile Land pachten und selbst bewirtschaften. Tatsächlich sind die Felder, die wir sehen eher von übersichtlicher Größe, wie für Familienbetriebe geeignet.

Auf den dicht bewachsenen Feldern werden meist mehrere Fruchtsorten gleichzeitig angebaut, fast immer ist Mais dabei. Der eignet sich als Rankhilfe für Bohnen und Tomaten, während er für am Boden wachsende Pflanzen als Schattenspender dient. Reisfelder sind dagegen verwunderlicherweise sehr selten. Sicher ist es hier in der beginnenden Steppe zu trocken.

 

Die Zahl der Felder nimmt allmählich ab und immer wieder tauchen Viehherden auf. Meist Schafe und Pferde. Ein sicheres Zeichen für die Mongolei, der wir unaufhaltsam näher kommen. Am Abend, 21:30 Uhr Pekinger Zeit sind wir am chinesischen Grenzbahnhof Erliang.

Auf Grund der unterschiedlichen Spurweiten in China und der Mongolei werden hier die Räder gewechselt. Während der Prozedur kann man im Wagen sitzen bleiben oder aussteigen, man muß sich nur vorher für eines von beiden entscheiden. Wir entscheiden uns für das Sitzenbleiben. Auf den späteren Abschnitten der Zugfahrt werden wir uns eine solche Gelegenheit die Füße zu vertreten nicht entgehen lassen. Heute aber ist gerade die Abendbrotzeit vorüber und wir sind viel zu faul.

Wir nutzen die Zeit für die anschließenden Grenzformalitäten ein paar Formulare auszufüllen. Die Kontrollen selbst verlaufen dann reibungslos, wenngleich es ca. drei Stunden dauert, bis der ganze Zug verarztet ist und sich wieder in Bewegung setzt.

 

Nach einer halben Stunde Fahrt kommen wir im mongolischen Bahnhof an, wo die dortigen Grenzkontrollen nocheinmal gute zwei Stunden in Anspruch nehmen. Draußen ist es schon lange dunkel und als einziger Zeitvertreib bleibt uns das Beobachten eines äußerst malerischen mongolischen Grenzsoldaten auf dem Bahnsteig.

 

 

 

Donnerstag, 31.Juli 97, Ulan Bator:

 

Im Zug schläft es sich dank unserer Edelbetten hervorragend. Als die Sonne aufgeht, quäle ich meinen Oberkörper in halbe Höhe und riskiere einen Blick nach draußen. Dieser Sonnenaufgang ist ein visuelles Ereignis! Draußen fährt gerade eine Sandwüste vorbei, die in den ersten Sonnenstrahlen erwacht. Am noch dunkelblauen Himmel geht blutrot die Sonne auf. Die klare Luft und die langen Schatten der Sanddünen lassen den Horizont zum Greifen nah erscheinen. Das Blau des Himmels, das Ockergelb der Wüste und das Rot der Sonne sind kräftig und satt. Ein solches Schauspiel habe ich noch nie gesehen ! Um sicherzugehen, daß das kein Traum ist will ich diesen Sonnenaufgang fotografieren. Leider befindet sich der Apparat in der Kraxe und ist somit vom Bett aus nicht zu erreichen. Da ich Urlaub habe beschließe ich auf die Beschwernisse des Aufstehens und Kraxe durchwühlens zu verzichten. Ein Entschluß den ich heute bereue. Ich beobachte also vom Bett aus das herrliche Schauspiel und schlafe dabei irgendwann wieder ein.

 

Als ich dann tatsächlich aufstehe, befinden wir uns bereits in der Grassteppe und es regnet. Grüne, baumlose, menschenleere Hügel ziehen sich bis zum Horizont. Ein langweiliger Anblick. Aus einer besonders dicken dunklen Wolke geht ein Hagelschauer nieder. Im Nu ist die ganze Gegend weiß bedeckt und nach den heißen Tagen in China bietet das einen doch sehr befremdlichen Anblick.

 

Zum Frühstück sind nur noch vier Scheiben Brot übrig. Das kommt davon, wenn man am Abend vorher so maßlos isst.

 

Unterwegs gibt es noch einen Militärflugplatz mitten in der Pampa zu bewundern. Auf dem ist auch eine Herde Pferde. Die Tiere sind, wie überall in der Mongolei, weder eingezäunt noch irgendwie angebunden. Sie weiden direkt neben der Rollbahn.

 

Endlich häufen sich auch die menschlichen Behausungen und wir fahren am frühen Nachmittag in Ulan Bator ein. Der Bahnhof hat die Größe deutscher Kleinstadtbahnhöfe, drei Bahnsteige sind vorhanden. Eine Unterführung existiert nicht, weil unnötig.

 

Wenigstens klappt hier die Abhohlung. Ein ca. 50-jähriger mongolischer Recke hält ein Schild mit Ricardos Namen in die Luft und ist aufgrund dessen gut zu entdecken. Der freundliche Mann versteht uns leider mit keinem Wort und entpuppt sich als unser Fahrer. Er hat aber eine Studentin mitgebracht, die ganz gut Deutsch spricht.

 

Vor dem Bahnhof wartet ein kleiner Bus auf uns, der einen ganz passablen Eindruck macht. Mit diesem Teil fahren wir zu den Gasteltern, die in einem Neubaugebiet etwa 10 min. Fahrtstrecke vom Bahnhof entfernt wohnen.

 

Der Weg führt über eine große Brücke, die über einen mickrigen Steppenfluß führt und die sicher nur wegen der Hochwasser im Frühjahr diese Dimensionen hat.

 

Die erste Hälfte der Brücke geht es etwas bergauf und wir bemerken, daß es nur die äußeren Werte des Busses sind, welche Vertrauen erwecken (geputzt und ohne Rost). Der Motor rasselt gottsjämmerlich und auf der leichten Steigung muß unser Fahrer schon den ersten Gang einlegen um nicht ganz stehen zu bleiben.

 

Kurz vor dem Ziel komen wir an einem Panzer vorbei, der auf einen Sockel gehievt wurde und der nun seinen Dienst als Monument versieht. Dazu zeigt sein Geschützrohr irgendwo in den Himmel. Gleich daneben befindet sich eine ehemalige Kaserne, die vor sehr langer Zeit als buddhistisches Kloster erbaut zu sein schien. Jedenfalls macht der Panzer neben den alten Holztempeln einen etwas seltsamen Eindruck.

 

Noch wesentlich verwegener ist der Eindruck, den der Wohnblock unserer Gastfamilie auf uns macht. Im Hof befinden sich die Müllcontainer, die unter einem Berg Unrat hervorlugen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Mülls verteilt sich, überlaufenderweise und windbedingt, über den Platz. Solche Zustände lassen sich in Europa gewöhnlich nur durch nachdrückliches Suchen finden.

Auch das Treppenhaus ist mit a b g e w o h n t nur ansatzweise beschrieben. Erste Befürchtungen über den Zustand unseres Quartieres kommen auf, denn das bisher gesehene läßt auf mangelnde Reinlichkeit der Mongolen schließen.

 

Im obersten Stock öffnet uns eine nette Mongolin im mittleren Alter die Tür und wir sind doch sehr angenehm überrascht. Die Wohnung unterscheidet sich durch nichts von denen bei uns zu Hause. Zur Begrüßung gibt es Gebäck und grünen Tee und wir atmen erstmal durch ...

 

Später wird uns dann klar, worauf die laxe Einstellung gegenüber der Pflege und Erhaltung der öffentlichen Grünanlagen, Spielplätze und Wohnblocks beruht. Nach Meinung der Mongolen gehören diese gemeinschaftlichen Einrichtungen dem Staat denn er hat sie ja bauen lassen. Also soll sich auch der Staat darum kümmern. Das eigene Reich beginnt hinter der eigenen Wohnungs- oder Jurtentür.

 

Undra, wie unsere "Reiseleiterin" heist, wird uns am nächsten Tag in die Steppe nach Terelj begleiten und wir haben Gelegenheit sie über die lebensnotwendigen Dinge auszufragen. Außerdem gibt Sie uns Tips für einen Stadtbummel, der für heute noch auf dem Programm steht.

 

Bis zum Zentrum ist es ein Fußweg von etwa zwanzig Minuten. Ulan Bator atmet den Charme sibirischer Großstädte. Breite Straßen, Plattenbauten und das alles nichtmehr ganz neu.

 

Wir tauschen auf der Hauptpost in der Nähe des Suche-Bator-Platzes. Die mongolische Währung, der Tugruk (mehrere: Tugrik), ist ähnlich dem Yuan eine reine Binnenwährung und kann nur in der Mongolei erworben werden. Der Kurs steht bei etwa 1 DM zu 400 Tugrik.

 

Nachdem wir jeder ein stattliches Bündel Scheine in der Tasche haben, besichtigen wir den Suche-Bator-Platz, wo auch ein Reiterstandbild des mongolischen Freiheitshelden steht.

Erbaut wurde der Platz aus den gleichen Aufmarschgründen wie der Rote Platz oder der Tien’Anmen. Mit denen kann sich das mongolische Pendant jedoch nicht messen. Das etwa sportplatzgroße Teil wird von der unermeßlichen Anzahl von etwa drei Souvenierverkäufern bevölkert. Im Moment kommen noch sechs Touristen dazu, wir.

 

Der Platz zeigt bereits erste Verfallserscheinungen, sicher werden hier keine Paraden oder sonstige Aufmärsche mehr stattfinden. Andernfalls ist durch die Risse und Schlaglöcher mit völlig unmilitärischem Herumstolpern zu rechnen.

 

Nach kurzer in Augenscheinnahme des Platzes und der ihn umgebenden Volkspaläste gehen wir dann doch lieber für die bevorstehende Fahrt in die Steppe einkaufen.

 

Es gibt eine Unmenge an Verkaufsstätten, die überwiegend kioskähnlichen Charakter haben. Diese im Rahmen der wirtschaftlichen Privatisierung entstandenen Kleinläden tragen gewöhnlich die Bezeichnung "Delguur". Sie bieten meist ein Sammelsurium an Waren auf kleinstem Raum. Nicht selten sind diese privaten Geschäfte in Wohnhäusern, Heizungskellern und ähnlichen Räumen eingerichtet. Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Charmes beziehen diese Läden aus ihrer Unprofessionalität, was den Besuch einer solchen Einrichtung auch durchaus lohnenswert macht.

 

Zu unserem Einkauf für die Steppe steuern wir jedoch das große staatliche Kaufhaus an, das sich ca. 700 m westlich vom Suche-Bator-Platz befindet. Hier vermuten wir eine durchdachtere Warenauswahl als in den Delguurs. Weit gefehlt! Zwar ist das Kaufhaus in seinen Dimensionen durchaus mit den europäischen Konsumtempeln vergleichbar, letztlich ist es aber lediglich eine Ansammlung von vielen kleinen Delguurs, die sich im Kaufhaus eingemietet haben.

Der Verkauf erfolgt grundsätzlich über die Ladentheke, Selbstbedienungsabteilungen gibt es praktisch nicht. Einige Abteilungen, z.B. die Bäckerei im Erdgeschoß, funktionieren noch nach dem russischen Prinzip. D.h. nachdem man sich anstellt und an der Ladentheke auswählt, heist es danach an der Kasse anstellen und bezahlen und schließlich zurück zur Theke und Ware in Empfang nehmen.

 

Allgemein kann das anzutreffende Preisniveau als saftig bezeichnet werden. Lebensmittel sind üblicherweise doppelt so teuer wie in Deutschland. Schließlich muß alles was nicht aus nicht aus Schaf oder Rind hergestellt werden kann (meist über weite Strecken) importiert werden.

Trotzdem kommt kaum ein Mongole auf den Gedanken Feldbau zu betreiben, um eigene, preiswerte Produkte anzubieten. Das verbietet schlicht der Stolz, der nur die Viehzucht als ehrbare landwirtschaftliche Arbeit zuläßt. Tasächlich habe ich auf der Bahnfahrt nach Ulan Bator in der Mongolei genau ein Gemüsebeet gesehen.

 

Für Freunde von Lederwaren und Kaschmirprodukten sei der 5. Stock des Kaufhauses empfohlen. Hier gibt es breite Auswahl an derartigen Erzeugnissen, die aber in Dollar bezahlt werden müssen. Für den schmaleren Geldbeutel finden sich außerdem Ansichtskarten, Souveniers und Artikel des Kunsthandweres, die sich als Mitbringsel eignen.

 

Schließlich besuchen wir noch den Diplomaten-Shop, der sich weitere 500 m westlich vom Kaufhaus befindet und der die landesweit breiteste Auswahl an Alkoholika zu fairen Preisen anbietet.

 

Nachdem wir das nötigste eingekauft haben, meldet sich unser Magen. Aus unserem Reiseführer verfügen wir über eine Liste der Gaststätten und Kneipen Ulan-Bators. Trotz ihrer Übersichtlichkeit gilt diese Aufstellung als nahezu vollständig.

 

Wir entscheiden uns für einen Besuch des Journalistencafe`s, das der Szenetreffpunkt der Stadt sein soll. Leider wird das Gebäude gerade umgebaut. Als Ausweich stand nur ein ungemütliches Container-Provisorium vor dem Haus. Eine weitere Kneipe, die sich ganz in der Nähe befindet, ist gerammelt voll. Den Biergarten dieser Einrichtung werden wir später als Stützpunkt für weitere Stadtbummel benutzen, im Moment ist er aber aufgrund eines gerade stattgefundenen Platzregens unbenutzbar. Auch der örtliche Jugendklub namens "Moto-Rock" mit seinen Imbissbuden im Hof hat geschlossen. Nun wird unser Magenknurren schon sehr nachdrücklich.

 

Wir entschließen uns aus diesem Grunde das bulgarischen Nationalitäten-Restaurant aufzusuchen, obwohl es dort vermulich keine typisch mongolischen Speisen geben wird. Den Bulgaren sollte man besser Europäer nennen. Außer dem Schopska-Salat besteht das Angebot aus den Speisen, die üblicherweise im ganzen Abendland zum Standard Umfang der Speisekarte gehören. Aber sicher werden umgekehrt die asiatischen Restaurants Europas der hiesigen Befölkerung nur ein müdes Lächeln abgewinnen.

 

Nachdem wir den Stadtbummel mit einer leidlichen Mahlzeit beendet haben, gehen wir zu unserem Quartier zurück. An der Wohnungstür haben wir Gelegenheit das Faible der Mongolen für ausgefallene Türklingeln bewundern. Bei unseren Gasteltern erklingt, statt Klingeln, das schönste Vogelgezwitscher. Auch ein paar Stockwerke tiefer wohnt eine Familie mit Humor. Als dort ein Besucher klingelt ertönt auf elektrischem Wege ein energisches Türklopfen.

 

 

 

Freitag, 01.August 97, Terelj:

 

Heute soll der Ausflug in die Steppe erfolgen. Leider geht es Ina garnicht so gut. Wir alle haben mehr oder weniger häufige Sitzungen von der asiatischen Kost, Ina aber hat dazu noch eine schlimme Erkältung, die sie sich durch die allgegenwärtigen chinesischen Klimaanlagen und die damit verbundenen Temperaturwechsel geholt hat. Durch das Fieber ist Inas Zustand einigermaßen ernst und es ist nicht abzusehen, wie sich die Krankheit weiter entwickelt. Einen Arztbesuch wird unumgänglich.

 

Doch wo findet man, in der Mongolei einen Arzt, dem man einigermaßen zuverlässig die Krankheitssymptome beibringen kann. Glücklicherweise gibt es an der deutschen Botschaft in Ulan Bator einen, der Deutsch spricht. Nach einem kurzen Anruf wird er der Arzt unseres Vertrauens. Wir beschließen folgendes: Ricardo und Ina bleiben in Ulan Bator, wo sich Ina behandeln läßt. Die anderen vier treten die Fahrt in die Steppe an. Je nach Diagnose entscheiden wir in drei Tagen, nach der Rückkehr aus Terelj, über den weiteren Verlauf der Tour. Das scheint uns für alle Beteiligten die sinnvollste Lösung zu sein.

 

Nach einem anständigen Frühstück bei den Gasteltern holen uns Undra und der Fahrer ab. Nach der vorläufigen Trennung beginnt für vier von uns die Fahrt nach Terelj ...

 

Für einen Aufenthalt in der mongolischen Steppe ist vor allem eines unerläßlich - Langmut. Wir sind jedoch mental darauf vorbereitet. Unserem Reiseführer zufolge lautet die Faustregel für den Ausflugsbeginn, daß man sich für 9°° Uhr verabredet, worauf der letzte pünktlich 10°° Uhr da ist (über Verspätungen von unter einer Stunde redet man in der Mongolei nicht). Eigentliche Abfahrt ist dann 16°° Uhr. In den verbleibenden sechs bis sieben Stunden werden all die Dinge erledigt, die man hätte schon am Vortag tun sollen: dem Auto fehlt Benzin, die verborgten Kanister müssen zurückgeholt werden (vom anderen Ende der Stadt), der Ersatzreifen ist nur Makulatur, Öl gibt es erst an der dritten Tankstelle usw.

Dazu hat jeder Mitreisende noch seine persönlichen Angelegenheiten in die Reihe zu bekommen, Lebensmittel werden ohnehin erst kurz vor der Abfahrt besorgt. Nicht selten kommt es vor, daß kurz vor der Abfahrt noch weitere, mit der Expedition in keinerlei Zusammenhang stehende Leute mit im Auto sitzen. Nach dem Motto: "Meine Oma wollte schon immer mal nach Terelj. Das werden sie doch verstehen und sie macht sich auch ganz klein und leicht." usw. usf. ...

 

Solcherart vorgewarnt können wir unseren Start nur als zügig bezeichnen. Zwar gehen auch wir vorher noch ein paar Lebensmittel besorgen und Benzin gibt es erst an der zweiten Tankstelle, immerhin verlassen wir jedoch die Stadt bereits um 11°° Uhr.

 

Nach ein paar rumpligen Kilometern auf der Schnellstraße werden wir an einem Kotrollpunkt von der Polizei angehalten. Wir fragen Undra, was es wohl damit auf sich hätte, doch auch sie kann sich den Halt nicht erklären. Sie tauscht mit dem Fahrer besorgte Blicke, dann steigen beide aus. Mit dem dicken Chef der Miliz entspinnt sich ein Wortwechsel. Vollends beunruhigt sind wir, als zwei Polizisten in Felddienstuniform den Bus entern. Doch schnell klärt es sich auf, die beiden wollen nur nach Terelj mitgenommen werden.

 

Die Entfernungen und die dünne Besiedlung lassen in der Mongolei kein öffentliches Transportsystem im europäischen Sinne entstehen. Wer von A nach B will und kein eigenes Fahrzeug besitzt, stellt sich also an die Straße und hält das nächste Schwarztaxi an. Diese sind leicht zu erkennen, alle Fahrzeuge in der Mongolei sind Schwarztaxis. Wir beobachten unterwegs, wie eine etwa zehnköpfige Familie von einem Krankenwagen mitgenommen wird. Der übliche Fahrpreis ist erschwinglich und liegt bei 0,50 U$/km. Da unsere neuen Mitfahrer Polizisten sind, brauchen sie natürlich nichts zu bezahlen.

 

Doch es gibt noch mehr Erlebnisse, welche die 75 km Fahrt bis nach Terelj zum Erlebnis werden lassen. So wird es bald felsiger. Die verwitterten Formationen haben Ähnlichkeit mit verschiedenen Figuren und wir raten was sie wohl darstellen. Fast immer gibt es Einigkeit, nur ein Felsen ist bis heute für die eine Hälfte von uns eine Schildkröte und für die anderen ein Frosch.

 

An einem Felsen, der Ähnlichkeit mit überhauptnichts hat, halten wir an. Hier gibt es eine Höhle bis zu der wir hinaufklettern. Sie hat etwa die Größe einer Boofe in der Sächsischen Schweiz, nur ist sie eher hoch als breit, eine Stehboofe gewissermaßen. Unterhalb des Felsens befindet sich eine Jurtensiedlung. Hier beobachten wir, wie Stuten gemolken werden. Das ist die einzige Gelegenheit, bei der die Tiere angebunden werden.

 

Die Mongolei ist übrigens ein ergibiges Fundgebiet für prähistorische Fossilien. So haben einige Entusiasten als lokale Attraktion einen Saurierpark angelegt, bei dem wir einen weiteren Stop einlegen. Auf einer Wiese stehen verschiedene nachgebildete Saurier aus Beton, vermutlich in Originalgröße. Es ist niemand zu sehen, der irgendwelchen Eintritt verlangen könnte. Nur die Leute aus den in der Nähe gelegenen Jurten beobachten aus 100 m Entfernung, wie wir zwischen den Figuren herumspazieren. Den Polizisten dauert die Besichtigung zu lange. Als wir zum Bus zurückkehren sind sie bereits mit einem anderen Auto weitergefahren, welches gerade des Weges kam.

 

Höhepunkt unserer Fahrt nach Terelj ist der Besuch bei einer mongolischen Familie in ihrer Jurte. Die Bevölkerung des Landes läßt sich in zwei große Gruppen einteilen. Die erste Gruppe sind die Stadtmongolen, die teilweise schon seit Generationen nichtmehr in der Steppe wohnen und deren Lebensstil dem unseren weitgehend entspricht. Bisher hatten wir nur mit denen Kontakt. Unser heutiger Besuch gilt aber einer Familie aus der zweiten Gruppe der Bevölkerung. Sie lebt noch immer von der Viehzucht und hat die jahrhundertealte Lebensweise mit den Tieren in der Steppe beibehalten. Zwar ziehen auch hier langsam die Errungenschaften der Technik ein, wie z.B. Kofferradios oder auch Autos. Auf den überwiegenden Teil des urbanen Luxus, wie Wasser aus der Leitung oder elektrischen Strom muß aber verzichtet werden.

 

Bei einer Familie, die in zwei, drei Jurten am Wegesrand wohnt halten wir also an. Ein eine Horde kleiner Kinder kommt neugierig angelaufen. Besuch ist selten und damit eine Attraktion. Da wir aber offensichtlich Ausländer sind, werden wir vorerst skeptisch gemustert als wir aus dem Bus steigen. Von den Erwachsenen werden wir in die Jurte gebeten (bloß nicht auf die Schwelle treten, das bringt Unglück). Innen ist erstaunlich viel Platz. Die Einrichtung ist einfach und beschränkt sich auf das Notwendigste. Schließlich muß alle paar Wochen umgezogen werden, damit das Vieh neues Futter findet. Da würde unnötiger Kram nur stören. Der Fußboden ist mit Teppichen und Läufern bedeckt, die auf dem nackten Steppenboden liegen.

 

Wir setzten uns auf die Betten, Kisten und Schränkchen , die am Jurtenrand entlang im Kreis aufgestellt sind. In der Mitte steht ein Tisch auf dem schnell frischer Yoghurt und eine Schüssel mit Snacks aufgefahren wird. Gastliche Bewirtung ist oberstes Gebot, auch wenn mann ziemlich unverhofft hereinplatzt, so wie wir. Der Yoghurt ist aus eigener Herstellung schmeckt klasse. Die Snack’s sehen aus wie Splitter von weisser Schokolade und sind offensichtlich aus Milch hergestellt. Das Zeug ist an der Luft getrockneter Magerquark (Aaruul) und hart wie Stein. Man kann es nur mit sehr guten Zähnen essen. Es schmeckt ein wenig, wie mild gesäuerte Milch und ich schätze es ist auch ziemlich nahrhaft.

 

Wie wir so zulangen hören wir Babygeschrei aus einem der Betten. In Decken eingewickelt meldet sich so ein erst Stunden alter Säugling zu Wort. Undra überbringt unsere Glückwünsche und ein Paar Süßigkeiten als Geschenk. Denkt man an die sterilen Verhältnisse in deutschen Entbindungskliniken ist es schon ein ungewöhnlicher Anblick, ein Baby in solch rusikaler Umgebung zu sehen. Für unsere Gastgeber ist es aber das normalste auf der Welt.

 

Leider ist die Kommunikation mit den Mongolen etwas zäh, da Undra immer erst übersetzen muß. Unsere Russischkenntnisse, die für den Aufenthalt in der Stadt völlig ausreichen sind hier wertlos. Es wird nur mongolisch gesprochen. So bleibt neben ein paar Gesten meist nur ein höfliches Lächeln. Specki fragt, ob er unsere Gastgeber zum Abschied fotografieren darf. Mit dem angemessenem Ernst setzen sich die maßgeblichen Familienmitglieder dafür in Positur. Anschließend verabschieden wir uns.

 

Nun wird unsere Unterkunft in Terelj angepeilt. Die Siedlung besteht im wesentlichen aus den Jurten eines Touristencamps. Im Umkreis von einigen Kilometern schlagen auch immer ein paar Hirten ihre Jurten auf. Ursache dafür ist der kleinen Laden im Camp und der für hiesige Verhältnisse lebhafte Fahrzeugverkehr in die Hauptstadt. Eine Ortschaft im eigentlichen Sinne ist es nicht.

 

Die Straßen, die kurz hinter der Hauptstadt noch mit festem Belag versehen waren, wurden mit zunehmender Entfernung immer mieser. Die letzen Kilometer bestanden sie aus festgefahrener Schotterstrecke. Nun, kurz vor dem Ziel, verlassen wir mit unserem Bus auch diese. Die weitere Fahrt geht über die Wiesen. Der Bus ächzt im ersten Gang über Stock und Stein. Als wir an einem Bach ankommen denke ich: nun haben wir uns verfahren. Doch unser Fahrer nimmt seelenruhig Anlauf und fährt quer durch den Bach. Mit letzter Kraft kommt der Bus die Uferböschung hoch. Nach der Bachdurchquerung sind wir bald am Ziel unserer Reise.

 

Am Fuße einer Felswand ducken sich drei Jurten auf der Wiese. Unser neuer Gastvater begrüßt uns und teilt uns auf die Jurten auf. In der ersten wohnt er mit seiner Familie und Undra. Die beiden anderen sind für je drei Mann unserer Truppe hergerichtet. Da wir jedoch nur zu viert angereist sind räumen wir so um, daß wir nun alle vier in einer Jurte schlafen. Platztechnisch ist das kein Problem. Im Gegenteil, in den nächsten Tagen wird unsere Jurte für alle der Treffpunkt zum Essen und zur Abendunterhaltung werden. Trotzdem dann um die 10 Personen anwesend sind, ist immer noch genügend Platz zum wirtschaften und feiern.

 

Unser Busfahrer verabschiedet sich bald und fährt zurück in die Hauptstadt. Er nimmt eine junge Berlinerin mit, die hier im Sommer einige Wochen Urlaub macht. Sie will ein paar Tage die Hauptstadt besuchen. Vor ihrer Abfahrt gibt sie uns völlig begeistert eine erste Einweisung in die hiesigen Gegebenheiten. Das kann ja spannend werden ...

 

Wie alle Jurten besteht unser Heim aus einem Scherengitter für die Seitenwand und ein paar Holzstangen für das Dach. Das ganze ist zur Verspannung mit Seilen umwickelt und mit mehreren Lagen Filzmatten bedeckt. Eine Lage Filz ist üblicherweise 3 cm dick und hat die Isolierfähigkeit von ca. 6 cm Ziegelwand. Im Winter werden 3 oder 4 Lagen Filz über die Jurte gespannt.Als oberer Abschluß wird eine Lage Leinen aufgelegt, die für die schöne weiße Farbe der Jurte sorgt. Die Jurte ist wasserdicht. Eine Jurte kann von einer 4 bis sechsköpfigen Familie in weniger als einer Stunde zerlegt und auch wieder aufgebaut werden. Die Jurte selbst paßt auf zwei, das Mobiliar auf weitere zwei bis drei Kamele.

 

Im Gegensatz zu der recht einfachen Jurte, in der wir noch vor einer halben Stunde zu Gast waren, ist unsere Unterkünft recht luxuriös. Die Jurte ist auf einem Holzpodest aufgebaut, wodurch wir einen Dielenfußboden haben. Die Eingangstür und die Sparren sind reichhaltig beschnitzt und neben den Campingliegen der Bettstätten gibt es noch bunt bemalte Kisten und Schränkchen als Möblierung. Damit erschöpft sich der Luxus.

 

Einzige problematische Stelle ist die Jurtentür. Sie ist ziemlich niedrig. Da wir beim Eintreten nicht auf die Schwelle treten dürfen (das bringt Unglück) konzentrieren wir uns nach unten. Dabei vernachlässigt man automatisch die höheren Gefilde. Anfangs knalle ich dann gewöhnlich mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Ohne zu übertreiben kann ich sagen, daß ich die Höhe einer Jurtentür eingebleut bekommen habe.

 

Wir haben uns ziemlich schnell eingerichtet. Mittlerweile ist es nach 15°° und wir denken langsam ans Mittag essen. Da beim Ausflug ein Picknick in der Steppe im Preis enthalten ist, hat auch Undra genügend Lebensmittel mitgenommen. Wir sortieren als erstes die verfügbaren Zutaten. Dabei wird schnell deutlich, daß die traditionelle mongolische Küche wesentlich einfacher gehalten ist, als die der Chinesen.

 

Das Essen dient in der Mongolei erster Linie zur Deckung des Kalorienbedarfs. Auf Grund der klimatischen Bedingungen mußte man jahrhundertelang froh sein, überhaupt etwas zu essen zu haben. So besteht für den Steppengourmet ein ein lukullisches Schlemmermahl z.B. aus einem großen Fetzen Hammelfleisch, der auch ordentlich fett ist und an dem sich möglichst noch ein Stück vom Knochen befinden sollte.

 

Für unser Mittagessen haben wir Fleisch, Reis, Kartoffeln und Weißkraut zur Verfügung. Das Kochen wird zur gemeinschaftlichen Angelegenheit. Specki feuert den kleinen Herd in der Mitte der Jurte an. Als Brennmaterial dient Holz und getrocknete Kamelscheiße. Ziemlich schnell haben wir ein gemütliches Feuerchen im Ofen. Der Rauch kann durch das Ofenrohr, welches durch eine Öffnung im Dach führt abziehen.

Die anderen schälen Kartoffeln, schneiden Fleisch und Kraut bzw. suchen nach Salz oder Gewürzen. Es hat noch niemand eine Ahnung was für eine Speise da entstehen wird. Da jedoch eine große eiserne Schüssel als Herdplatte dient, kommen die Zutaten einfach dort hinein und werden mit Wasser aufgefüllt. Auf diese Art entseht von ganz allein ein Weißkrauteintopf.

 

Gerade als unser Eintopf die Genußreife erlangt hat, kommen Ricardo und Ina zur Jurtentür herein. Wir sind völlig baff die beiden so schnell wiederzusehen. Der Arzt in der Botschaft konnte keine zuverlässige Diagnose stellen und hat Ina Ruhe verordnet. Mit einigen Medikamenten sollten die Beschwerden nachlassen. Andernfalls hat Ina ein wirkliches Problem. Glücklicherweise ging es ihr nach ausreichender Schonung in Terelj wieder besser und wir können die Fahrt ohne Komplikationen fortsetzen.

 

Für die vorgeschriebene Ruhe eignet sich ein Aufenthalt in der Steppe bestens (völlig stressfrei). Also charteten Ina und Ricardo mit Hilfe einer Begleiterin des mongolischen Reisebüros ein Schwarztaxi und fuhren hinaus nach Terelj. Ich bezweifle, daß der Fahrer des "angemieteten" 7er BMW ursprünglich vor hatte, in die Steppe zu fahren. Für einen Obolus von 35 US$ kann man aber schon mal einen kleinen Umweg machen. So wurde in dem Pkw der gleiche Weg zurückgelegt, wie mit dem Bus. Einschließlich Bachdurchquerung. Es ist schon erstaunlich, zu welchen Leistungen das bayerische (und nebenbei bemerkt auch schon etwas klapprige) Gefährt in der Lage war. Der Faherer des BMW’s war sehr stolz darauf, das in dieser Form vorführen zu können. Einziger Schönheitsfehler des Autos war der Scheibenwischer, der ununterbrochen arbeitete und nicht abzustellen ging. Sehr wichtig in einem Land, in dem es im Sommer etwa vier Tage regnet...

 

Glücklicherweise haben wir soviel gekocht, daß es für alle reicht. Zu unserer Überaschung schmeckt unser Eintopf garnicht so schlecht. Nur für die Mongolin vom Reisebüro, die Ina und Ricardo herbegleitet hat, ist er zu scharf geraten. Sie muß mächtig viel Brot dazu essen. Von Undra erfahren wir, daß in der Mongolei stark gewürztes Essen nicht üblich ist, schon gar kein scharfes. Beliebt sind dagegen eher süße Speisen und Bonbons. Nun wundern wir uns, daß Undra so herzhaft zugelangt hat. Sie erzählt uns von ihrem mehrmonatigem Praktikum in Deutschland. Dort hat sie sich nicht nur die deutsche Sprache angeeignet, sondern auch eine Vorliebe für scharfe Gewürze. Ihr Lieblingsessen ist Chilli con Carne.

 

Nach dem Mittagessen ist es 17°° Uhr. Während Ina sich ausruht und im Bett kuriert, gehen Specki, Volker, Jojo und ich uns die nähere Umgebung ansehen. Bevor wir losgehen schärft uns unser Gastvater ein, auf Schlangen und Wölfe zu achten. Schlangen soll es hier einige verschiedene Arten geben, wovon auch drei oder vier giftig und für den Menschen gefährlich sind. Wölfe sind am Tage gewöhnlich nicht zu sehen, jedoch sollten wir vor der Dämmerung zurück sein, da sie nachts bis in die Nähe der Jurten kommen. Vorerst nehmen wir das als die üblichen Verscheißerungen, die für Touristen bestimmt sind, zur Kenntnis.

 

Die Gegend um Terelj ist im Volksmund als Mongolische Schweiz bekannt. Das Gebirge besitzt überwiegend Mittelgebirgscharakter wobei einige Gipfel Höhen zwischen 2.000 und 2.500 m erreichen. Die Berge sind dabei schon recht felsig, was den eigentlichen Reiz ausmacht. Auf den Höhenlagen sind hier die ersten Ausläufer der Taiga zu finden. So kommt es, daß die Höhen bereits bewaldet sind, während in den Tallagen die bekannte mongolische Grassteppe vorherrscht.

 

Wir besteigen also einen der umliegenden Felsen. Der Anmarsch über die Wiesen ist ganz gemütlich und auch die Besteigung des Gipfels ist dank seiner verwitterten Struktur kein Problem. Wanderwege gibt es keine, es ist ein Kletterparadies. Die Größenverhältnisse der Felswände entsprechen etwa denen im Elbsandstein und auch die Palette der Schwierigkeiten dürfte ähnlich sein.

 

Als wir oben sind können wir den ganzen Talkessel überblicken, in dem unsere Jurten stehen. Vor der Felswand wirken sie klein wie Blüten auf der Wiese. Von weitem winken wir Ricardo zu, der als winziger Punkt zwischen den Jurten zu sehen ist. Das eigentliche Touristencamp von Terelj ist am gegenüberliegenden Rand des Nachbartales zu sehen und etwa 1 - 2 h Fußmarsch entfernt. Unsere nächsten Nachbarn befinden sich in einem Kilometer Entfernung am Eingang unseres Talkessels.

 

Wir beobachten, wie in der Ferne Herden von Pferden, Kühen und Schafen über die Wiesen ziehen. Das Vieh kann sich frei bewegen und dorthin gehen, wo das beste Futter wächst. Jetzt am Abend reiten die Mongolen los und holen die Herden zurück in die Nähe ihrer Jurten. Dort können die Tiere gemolken und versorgt werden. Außerdem sind sie dann für die Nacht in der Nähe der Hunde. Allerdings soll es schon vorgekommen sein, daß Hirten einige Tage unterwegs waren, bis sie ihre Tiere wiedergefunden hatten.

 

Langsam neigt sich die Sonne zum Untergehen. Außerdem haben wir von der Kraxelei und der frischen Luft Hunger bekommen. Wir machen uns auf den Rückweg zur Jurte.

 

Gegen 22°° Uhr essen wir Abendbrot. Es gibt Schnitten mit was drauf, den Kessel des Ofens brauchen wir für den Tee. Undra äußert ihre Verwunderung, daß wir bei unserem Mongoleibesuch ausgerechnet nach Terelj fahren wollten. Hier ist nämlich nichts los. Sie empfielht uns für das nächste Mal nach Karakorum zu reisen. Das ist die alte Hauptstadt der Mongolei, die touristisch sehr gut erschlossen ist. Dort gibt es Attraktionen wie historische Bauten, Geschäfte, Reitschulen mit Pferden oder Kamelen und nicht zuletzt Kneipen. Wir haben uns aber nach Peking und Ulan Bator ganz bewußt ein paar Tage gegönnt, um uns in der Natur zu erholen.

 

Der typische Steppenabend ist einsam. Aus diesem Grunde wird in so mancher Jurte hemmungslos getrunken. Die Mongolen sind wirklich Fachkräfte darin. Die Sauferei ist so beträchtlich, daß sie in einem Bericht über die Mongolei nicht unerwähnt bleiben kann.

Auch ein großer Teil der Stadtmongolen pflegt diese hübsche Tradition. In Ulan-Bator wurden wir Zeuge wie sich ein Familienvater gegen 10°° Uhr vormittags im Vollrausch befand und von seinem Sohn nach Hause "begleitet" wurde. Um diese Uhrzeit derartig Sturz-betrunken zu sein war mir bis dahin nur von Spezialisten aus Irland bekannt. In Deutschland werden solche sportlichen Leistungen, wenn überhaupt, gewöhnlich erst in den frühen Morgenstunden erreicht.

 

Auch in unserer abendlichen Runde in der Jurte wurde der Tee nicht nur mit Kandis gewürzt. Am warmen Ofen unterhalten wir uns mit Undra bis spät in die Nacht über das Leben in Deutschland und der Mongolei. Dabei wird auch viel gelacht. Mit der Zeit gelangen wir zu der Meinung, daß das Gewürz durch den Tee unzulässig verdünnt würde. Wir lassen also den Tee weg, was dazu führt, daß die unserer Meinung nach reichlich bemessenen Schnapsvorräte bereits am ersten Abend aufgebraucht sind.

TIP: Beim Einkauf von Alkoholika für eine Expedition in die Steppe kann im Zweifelsfall die berühmete "noch eine Flasche mehr" bedenkenlos mitgenommen werden. Sie wird alle werden.

 

An dieser Stelle sollte noch eingefügt werden, daß zu vorgerückter Stunde aus dem nahen Waldstück tatsächlich Wolfsgeheul ertönte. Das veranlaßte uns die Jurte bei Dunkelheit nur im absoluten Notfall zu verlassen (der viele Tee ...), und dabei immer im Nestfluchtbereich zu bleiben.

 

 

 

Sonnabend, 02. August 1997, Terelj

 

Eine angenehme Eigenschaft der Mongolen ist ihre Vorliebe für das Ausschlafen. Als Touristen empfinden wir deshalb keine Reue erst gegen 11°° Uhr am Frühstückstisch zu erscheinen. Wir sind eh die ersten. Die vorangegangene hygienische Maßnahme verdient eine eingehendere Beschreibung.

 

Das Waschbecken ist ein Behälter mit Wasser, der unten mit einem Pfrofen verschlossen ist. Zur Entnahme drückt man diesen Propfen nach oben, so daß ein dünner Strahl laufen kann. Sobald er losgelassen wird verschließt sich der Behälter wieder. Diese Technik stellt ausreichend Wasser zur Verfügung, führt aber zu einem sparsamen Verbrauch. Das Wasser muß nämlich aus dem Bach im Nachbartal geholt werden und ist entsprechend kostbar.

 

Für die Entsorgung der menschlichen Stoffwechselendprodukte wurde auf der Wiese eine kleine Grube ausgehoben. Zu den Jurten hin ist sie mit einer Sichtblende aus Stoff versehen, die gerade einen hockenden Menschen verbirgt. Die anderen Seiten sind ungeschützt. So kann es vorkommen, daß man sich beim Abhalten einer Sitzungen inmitten einer Herde vorbeiziehender Kühe befindet. Zu dem malerischen Bild, daß man dann bietet, können auch die Kühe nur blöde glotzen. Die Ergebnisse der Sitzung werden mit einer Schaufel Erde vom Aushub der Grube zugedeckt, damit die Fliegen sich verziehen. Danach kann der nächste aufs Töpfchen.

 

Nach dem Frühstück brechen Specki, Volker und ich zu einer Tour in die Berge auf. Es ist strahlend blauer Himmel, doch die Temperaturen sind mit ca. 25°C für eine Wanderung noch ganz angenehm. Wir steigen als erstes einen unverschämten Stich gleich hinter unserem Lager empor. Es geht etwa 400 Höhenmeter nach oben. Zuerst haben wir einen Trampelpfad, der verliert sich jedoch auf halber Höhe und wir waten durch hüfthohes Gras und Krautwerk nach oben. Oben angekommen sind wir erstmal fertig.

 

Der weitere "Weg" führt und nun über die Höhen die den Talkessel umgeben. Dabei haben wir nach der Stunde steilen Aufstiegs drei Stunden gemächlichen Abstiegs vor uns. Die Bergwiesen sind hier weniger steil und dadurch vom Vieh kurzgefressen. Es riecht ganz würzig und man könnte es den Kühen gleich tun und ins Gras beißen. Alles steht voller Blüten und das Edelweiss, in Deutschland seltene und geschützte Pflanze, wächst hier wie Unkraut.

 

Wegen der vielen Blüten sind eine Menge Insekten unterwegs, die uns aber nicht weiter belästigen. Wir genießen diesen Spaziergang in der von Zivilisation praktisch unberührten Landschaft. In einem Felshang erblicken wir ein Adlernest und einer der Altvögel kreist über uns. Trotz seiner enormen Größe muß er aber feststellen, daß wir keine Beute sind, der er gewachsen wäre. So biegt er wieder ab und versucht bei Mäusen und Kaninchen sein Glück. Noch eine ganze Weile können wir seinen majestätischen Flug beobachten.

 

Wir treffen auf ein Owoo. Das sind Pyramiden aus Kieselsteinen, die den Reisenden vor Unglück schützen sollen. Allerdings muß man sie dazu dreimal zu Fuß umkreisen und jedesmal einen Kiesel darauf werfen. Wer auf diese einfache Zeremonie nicht vertraut kann dem Owoo noch weitere Opfergaben darbringen. An unserem Owoo befinden sich bunte Bändchen, diverse Gegenstände aus farbigen Glas aber auch Geldscheine und Münzen. Die besondere Note machen jedoch die ausgebleichten Rinderschädel aus, diedem ganzen einen pitoresken Anblick verleihen.

 

Nicht allzuweit entfernt hören wir Schüsse. Auf einem der Hügel an unserem Weg sitzt am Waldrand eine mongolische Familie. Sie sind mit einem Geländewagen unterwegs und halten dort gerade ein Picknick. Der mit der Flinte ist sicher fürs Essen besorgen zuständig. Um nicht irrtümlich für eine Mahlzeit gehalten zu werden lenken wir unsere Schritt allmählich zurück in Richtung unserer Jurte.

 

Wir haben keinen Kilometer mehr vor uns, als eine Herde Rinder unseren Weg kreuzt. Chef der Herde ist ein prachtvoller Stier. Als er uns erblickt setzt er einen ziemlich eifersüchtigen Blick auf. Uns wird ziemlich mulmig. Wir stehen mitten auf der Wiese und weit und breit ist kein Baum oder Zaun, der uns retten könnte. Demonstrativ bleiben wir stehen und lassen der Herde den Vortritt. Da wir an seinen Schönen offensichtlich kein Interesse haben, zieht er in 20 - 30 m Entfernung an uns vorbei, nicht ohne seinen bösen Blick zu benutzen.

 

Voller Eindrücke und einigermaßen geschafft kommen wir im Lager an. Ich habe mir gerade etwas leichteres Schuhwerk angezogen, als es in der Nachbarjurte, in der Ina und Ricardo wohnen, eine riesen Aufregung gibt. Der Sohn unserer Gasteltern kommt in unsere Jurte gestürzt. Er greift sich die Zange, mit der man die getrocknete Kamelkacke handhabt und spricht ein paar aufgeregte Sätze auf mongolisch. Dann verschwindet er wieder. Ich werde neugierig und gehe rüber was es wohl gibt.

 

Es gibt eine Schlange. Die hat es sich unter Inas Bett behaglich gemacht. Sie ist schwarz und nicht allzu groß. Dafür soll sie zu den Giftigen gehören. Durch den aufgeregten Trubel bekam die Schlange Angst und versuchte sich in der Jurte zu verstecken. Es wurde eine komplizierte Operation, bis unser todesmutiger Gastvater sie endlich mit der Zange zu fassen bekommt und in ein abgelegenes Gebüsch schaft.

 

Während unserer Wanderung waren die anderen drei mit Undra und den Kindern der Gasteltern Walderdbeeren sammeln. Die Ausbeute war eher bescheiden, wenn auch Undra beteuert vor drei Wochen noch massenweise geerntet zu haben. Gleichwohl, wir machen uns ans Mittagessen kochen, schließlich ist es schon nach 16°° Uhr.

 

Heute haben wir nicht so viel Glück mit unserer Komposition. Offensichtlich haben wir zuviel Reis genommen. Das Ganze gerät zu einem ungenießbaren Pamps, der auch mit viel Pfeffer nichtmehr zu retten ist. Wir sollten mit dem Zeugs ein Patent für Dichtmasse anmelden.

 

Nach dem Mittag matten wir ein wenig ab, bis gegen 19°° Uhr. Specki, Volker und ich brechen nochmal zu einem Spaziergang auf einen der Gipfel nördlich der Jurten auf. Der Aufstieg ist wieder ähnlich anstrengend wie der am Vormittag. Dafür werden wir mit einem wahnsinnigen Blick belohnt. Durch die tiefstehende Sonne werden die Schatten länger und alle Farben fangen an zu leuchten. Allein wegen dieses Blickes auf die Berge und die sich davor breitende Steppe lohnt sich der weite Weg in die Mongolei!!

 

Eine Schafherde wird im Nachbartal von zwei Reitern einen steilen Abhang hinuntergetrieben. Die hiesigen Rassen müssen außergewöhnlich geländegängig sein. Es sieht sehr halsbrecherisch aus und ich wundere mich, daß alle Schafe und auch der Reiter, heil unten ankommen. Zu hören ist von alldem nichts, es ist zu weit entfernt. Ringsum Stille.

 

Hinter dem Gipfel in Richtung Norden beginnt das große Leute-Nichts. Die nächste Siedlung dürfte hunderte Kilometer entfernt sein, dazwischen sind nur Berge und Wald. Ulkigerweise sind hier die Nordhänge bewaldet, während die Südhänge relativ kahl sind. Nach einer guten Stunde "Seele baumeln lassen mit Ausblick" steigen wir wieder zum Lager hinab.

 

Das Abendbrot kochen übernimmt nach diesem Mittagessen unser Gastvater. Eigentlich sind er und seine Familie Stadtmongolen. Durch die marktwirtschaftliche Entwicklung hat er aber einen Job bei einem privaten Reisebüro gefunden. Nun betreuen sie Touristen , die das Leben in der Steppe kennenlernen wollen. Da sie keine Tiere zu betreuen haben, ist es ein Leben wie im Urlaub. Freilich nur im Sommer. Der Winter geht von Oktober bis Mai und ist hart und kalt. Dann gilt es von Erspartem zu leben, bis zu nächsten Saison.

 

Das Abendbrot ist ein chinesisch-mongolisches Gericht aus Hammel, Gemüse und selbstgemachten Nudeln. Es schmeckt wirklich gut, ist aber kein bischen scharf sondern eher salzig. Das bringt guten Durst den wir mit Tee bekämpfen. Auch der Tee ist heute ungewürzt (siehe gestern). Außerdem gibt es noch mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, die an die russischen Pirogen erinnern. Hier heißen sie allerdings Chuuschuur.

 

Als es stockdunkel ist gehen wir vor die Jurte und beobachten den Sternenhimmel. Es gibt keine Wolken und keinen Mond. Da auch am Horizont keine Lichter einer menschlichen Siedlung den Himmel erhellen, ist er pechschwarz. Die Milchstraße leuchtet dabei so hell, daß sie ihren Namen wirklich verdient. Außerdem sind so viele weitere Sterne zu sehen, wie ich sie von noch keiner anderen Stelle der Welt aus gesehen habe. Eine ganze Weile bewundern wir den Anblick bis es merklich auffrischt. Am Horizont zieht ein Gewitter auf, das bei jedem Blitz die Finsternis zerreißt. Die Berge, die Wolken und die Steppe glühen in einem rötlich-blauen Licht auf. Ein spektakulärer Anblick. Als das Gewitter ernst macht und näher kommt, bringen wir die Jurte in den regenfesten Zustand und legen uns schlafen.

 

 

 

Sonntag, 3.August 1997, Terelj

 

Heute mittag soll uns der Bus abholen und zurück nach Ulan Bator fahren. Gegen 10°° Uhr (!) vormittags essen wir Frühstück. Wir verputzen dabei die restlichen Lebensmittel, die wir vor dem Ausflug nach Terelj eingekauft haben.. Unsere Gasteltern ahnen davon nichts und kochen uns auch etwas. So haben wir gegen 11°° Uhr ein zweites Frühstück aus Reis, Gemüse und Hammel. Geschmack siehe gestern abend.

 

Gegen 11:45 Uhr kommt der Bus und holt uns ab. Wir verabschieden uns von den Gasteltern und fahren zurück nach Ulan Bator. Ina hat sich in den letzten beiden Tagen ausgeruht. Es geht ihr sichtlich besser, so daß wir die ganze Tour zu sechst fortsetzen können.

 

Auf der Fahrt gibt es noch zwei touristische Halt’s. Zuerst fahren wir an einer Herde Yak’s vorbei, die wir selbstverständlich fotografieren müssen. Der zweite Halt findet am Tuulgol-Fluß statt, den wir auf einer Holzbrücke überqueren. Die Flußlauf mäandert sich durchs Tal und ist von saftigen Wiesen und Auenwäldern gesäumt. An Ufer stehen etliche Jurten und das ganze bietet eines jener typischen Postkartenmotive.

 

Wieder bei den Gasteltern in Ulan Bator angekommen, geht es erstmal unter die Dusche. Danach pilgern Ricardo, Specki, Volker und ich in die Stadt. Ina will sich noch schonen und bleibt zu hause.Wir bestechen Jojo mit einer Flasche Sekt, damit er ihr Gesellschaft leistet. Als erstes wollen wir noch paar Filme besorgen, da die aus Deutschland mitgenommenen Vorräte knapp zu werden drohen. Bei Preisen um die 10 $ für einen Diafilm winken wir jedoch ab.

 

Die Sonne scheint wieder prächtig und wir werden pflastermüde. Da kommen wir glücklicherweise an dem Biergarten auf der Chengis-Avenue vorbei. Es wird "Khan-Bräu" ausgeschenkt. Das Bier wird im benachbarten Kneipchen gebraut. Es ist das einzige in der Mongolei hergestellte Bier. Außer dem Wasser kommen dabei alle Zutaten Deutschland. Auch der Wirt ist aus Deutschland und er hat dafür gesorgt, daß alles einen merkwürdig vertrauten Eindruck macht.

 

Das Bier schmeckt fabelhaft und wir trinken auch ein zweites. Voller Muße beobachten wir die Gäste des Biergartens. Es sind überwiegend junge Mongolen, die den westlichen Lebensstil zu schätzen gelernt haben. Die übrigen Gäste sind Ausländer, die als Reisende oder beruflich in Ulan Bator sind. Geschminkte Mädchen in auffällig kurzen Röckchen machen die Runde. Eines wird von einem schon ziemlich besoffenen Engländer eingeladen. Ihr Blick verrät ihre große Begeisterung darüber. Aber Arbeit kann man sich bekanntlich nicht immer aussuchen und so setzt sie sich zu ihm ...

 

Irgendwann brechen wir wieder auf und wollen sehen, wo man gescheit Abendbrot essen kann oder wo in den Abendstunden noch was los ist. Der örtliche Jugendklub hat erneut geschlossen (den Grund werden wir bald erfahren). So kommt nach einem kurzen Bummel ein Restaurant vorbei, das auch ein paar Tische auf den Bürgersteig herausgestellt hat. Wir lassen uns nieder. Die Preise auf der Speisekarte machen es nicht unbedingt erforderlich das Abendbrot hier einzunehmen. Das Bier ist aber ganz vernünftig und so bleiben wir erstmal sitzen.

 

Am Nachbartisch sitzen zwei Kerle mitte Zwanzig und eine Frau im gleichen Alter. An ihrer Sprache merken wir, daß sie keine Mongolen sein können, dazu sprechen sie zu gut russisch. Irgendetwas gibt es zu feiern, denn der Sekt fließt in Strömen. Arm können die nicht sein. Sie sind schon mächtig beschickert und sorgen mit ihrer Lautstärke für allgemeine Aufmerksamkeit. Darauhin werden sie vom Kellner ermahnt. Das stört die drei überhaupt nicht. Es ist für uns nicht auszumachen ob die Dame nur zu einem der beiden Herren gehört (und wenn ja, zu welchem?) oder ob sie beiden hold ist. Nachdem ihre Feier obszön zu werden beginnt, fliegen sie jedenfalls alle drei raus.

 

Da die einzigen für Kurzweil sorgenden Gäste gegangen wurden, verlassen auch wir das Restaurant. Wir haben Hunger. Glücklicherweise finden wir in der Hauptstadt ohne McDonald einen Dönerstand. Der wird von zwei Türken um die dreißig Jahre betrieben. Die beiden haben, außer dasitzen und Chef zu sein, nichts zu tun. Die eigentliche Arbeit wird von einer ganzen Herde junger Mongolinnen erledigt. Etwa zehn von Ihnen wuseln umher und schneiden Fleisch oder Zwiebeln, geben Talons zum Bezahlen aus, nehmen die Talons zum Bezahlen wieder ein, verkaufen Döner, verkaufen Getränke und Eis (extra Stand) usw...

 

Der Döner ist garnicht so schlecht. Er besteht zwar nur aus Hammelfleisch und Zwiebeln, schmeckt aber hervorragend. Wer allerdings einen vegetarischen Döner ohne Zwiebeln bestellt hat schlechte Karten, der bekommt nur ein trockenes Brötchen.

 

Wir sitzen eine ganze Weile auf dem Freisitz, der zur Dönerbude dazugehört. Dabei treffen wir auch die Berlinerin wieder, die bei unserer Ankunft in Terelj mit dem Bus zurück in die Stadt fuhr.

 

Als es dämmert wird es Zeit aufzubrechen. Da hören wir aus einiger Entfernung die Klänge von Metallica’s neuer CD "LOAD", die werden doch nicht etwa hier spielen ?? Da die Musik ohnehin aus Richtung unserer Unterkunft kommt, wollen wir gleich mal nachsehen was da wohl los ist. Beim Aufbruch merken wir, daß eigentlich alle Leute, die unterwegs sind, in diese Richtung strömen. Nach einer viertel Stunde Fußweg sind wir am Stadion von Ulan-Bator angekommen. Davor stehen einige hundert Leute, von denen ein Teil ins Stadion will. Den anderen reicht es offensichtlich, die Musik von draußen zu hören. Dazu klettert man am besten auf die Umzäunung des Stadions oder auf irgendwelche Bäume.

 

Wir finden den Eintrittspreis von rund 2,50 DM nicht überzogen und gehen ins Stadion hinein. Es findet ein Rock Open Air Festival statt. Just als wir vor der Bühne stehen ist die Pausenmusik von Metallica zu Ende und die erste Vorgruppe beginnt ihren Auftritt.

 

Es sind zwei-, vieleicht dreitausend, zumeist junge Leute im Stadion. Davon steht eine Hälfte vor der Bühne, die anderen haben es sich auf den Rängen bequem gemacht. Das Outfit des Publikums ist bunt gemischt. Es sind die bekannten Metal-Freak’s aufgelaufen, die in Jeans, Leder und schwarze T-Shirt’s (mit bluttriefenden Motiven) gewandet sind. Den ganz großen Chef machen dabei einige Experten mit Glatze, Mongolenzopf und Megaschnauzbart. Tschingis-Khan lebt !

Es sind aber auch Handtaschenträgerinnen im schicken Kostüm vertreten, junge Muttis mit Kinderwagen, Soldaten in Ausgangsuniform, .... und Normalo’s zu denen ich uns an dieser Stelle rein kleidungsmäßig rechne.

 

Der Ablauf auf der Bühne ist liebevoll und unprofessionell organisiert. So kommen die Bands immer nur dazu ein oder zwei Titel zu spielen. Dann werden schon kleine Kinder hochgereicht, die mitsingen dürfen, es werden Freunde im Publikum begrüßt, die prompt auch auf die Bühne kommen oder der Ansager erzählt Kurzgeschichten auf mongolisch.

 

Eine Ausnahme sind die einzigen ausländischen Interpreten. Eine schwedische Combo liefert einen zackigen Death-Metal ab, bei dem sich offensichtlich niemand findet, den druckvollen Set zu unterbrechen. Nach der Runde Grunzgeknüppel geht es wieder weiter mit der bekannten Mischung aus Monsters of Rock und Volksfest.

 

Stilistisch ist vom Grunge bis zum Punk alles vertreten, hauptsache schön gitarrenlastig. In der Musik sind aber immer auch Elemente von traditioneller mongolischer Musik vertreten. Das gibt dem ganzen einen für uns etwas exotischen Pfiff und es ist ganz interessant anzuhören.

 

Irgendwann setzt eine Bewegung in den Massen auf den Rängen ein und alles stürmt schlagartig nach vorn. Auch die Handtaschenträgerinnen stürzen nun vor zur Bühne wie die Vierzehnjährigen beim Back Street Boy’s Konzert. Jetzt müssen die ganz großen Helden der mongolischen Rockmusik kommen....

 

Die Headliner bieten musikalisch eine Mischung aus den Scorpions und mongolischer Folklore, zu der das Publikum eigenartigerweise in völlige Begeisterung verfällt. Die Extase um uns herum ist uns dann doch ein wenig unheimlich und wir verlassen das Stadion Richtung Unterkunft. Unsere Gast-Mama ist schwer begeistert, als wir weit nach mitternacht in unsem Quartier aufschlagen.

 

 

 

Montag, 04. August 1997, Ulan Bator:

 

Morgens 9°° Uhr stehen wir auf. Zum Frühstück gibt es mit Rinderhack gefüllte Eierkuchen. Solcherart gestärkt gehen wir auf eine letzte Exkursion in die Stadt. Am Nachmittag gegen 16°° Uhr fährt unser Zug und neben dem Abhaken von einigen Sehenswürdigkeiten steht nicht zuletzt der Einkauf von Reisebedarfsartikeln für die Fahrt nach Irkutsk auf dem Programm.

 

Der erste Weg führt ins Zentralmuseum. Die völkerkundlich-historische Abteilung vermittelt einen guten Eindruck vom Nomadentum und der mittelalterlichen Geschichte der Mongolen. Blickfänger ist das Modell einer von Dutzenden von Ochsen gezogenen, wohnwagenähnlichen Jurte Tschingis-Khans. Die ist aus Nationalstolzgründen auch auf den mongolischen Geldscheinen abgebildet.

Im paläologischen Teil gibt es Saurierskelette ohne Ende zu sehen, von denen es vornehmlich in der Gobi reichhaltige Vorkommen gibt. Es sind auch zum Teil vollständig erhaltene, versteinerte Gelege von Dinosauriern zu sehen, die durch ihre Größe zu beeindrucken wissen. Die Hauptattraktion ist laut Reiseführer ein Exponat, das zwei im Todeskampf verbissene Saurier zeigt. Das kuriose Fundstück soll sich etwas versteckt zwischen den Vitrinen befinden. Nun, die Mongolen haben es gut versteckt, denn wir haben es trotz nachhaltiger Suche nicht finden können.

Dafür gibt es im heimatkundlichen Teil des Museums alle die Wildtier- und Pflanzenarten zu sehen, die man vieleicht in der Steppe nicht das Glück hatte anzutreffen. Leider sind die Erläuterungen in keiner der in Europa verbreiteten Sprachen abgefaßt.

 

Nach dem Rundgang bin ich als einer der ersten wieder im Foyer des Museums. Hier gibt es Läden, welche für die Touristen vom echten Kunsthandwerk bis zum billigen Mist alles anbieten. Mein Interesse hält sich in Grenzen. Bis die anderen da sind gehe ich etwa 100 m die Straße vor, um mir das wohl modernste Gebäude der Stadt anzusehen. Mitten zwischen Häusern aus der Jahrhundertwende zeigt ein alles überragender Koloss aus Stahl und Glas in den Himmel. Der einzige Wolkenkratzer Ulan-Bators war in der Stadt von überallher zu sehen und ich bin wirklich gespannt, wer wohl so ein Teil hier her setzt. Wie ich aber näher komme sehe ich, daß es eine Invest-Ruine ist an der sicher schon länger nicht mehr gebaut wird. Ein stummes Symbol dafür, wie schwer es der westliche Überlegenheitswahn hat sich bei den Mongolen zu etablieren. Wer braucht hier schon Wolkenkratzer.

 

Nachdem sich alle vom lehrreichen Rundgang durchs Museum angefunden haben, gehen wir in der Pizzeria "Flamingo" auf der Zaluuchuud-Avenue die Leere im Magen zu bekämpfen. Den Laden kann man weiterempfehlen. Für die 1 1/2 Tage Zugfahrt kaufen wir im Lebensmittelmarkt Dalaj Eedsch ein, der sich neben dem Staatszirkus befindet. Auf dem Weg dorthin trete ich fast in einen Schacht, der ohne Gullydeckel auskommt (nachts ist das bestimmt besonders reizvoll). Solche Erlebnisse oder auch die größtenteils archaisch und äußerst rustikal wirkenden Fahrzeuge auf den Straßen lassen mich mit einem seltsam nostalgischen Gefühl auf unseren Aufenthalt in Ulan Bator zurück blicken.

 

Bei einem abschließenden Glas im liebgewonnenen Khan-Bräu Biergarten lassen wir unseren Stadtbummel ausklingen. An der benachbarten Dönerbude scheint der Mittelpunkt der Mongolei zu sein. Gestern trafen wir die Berlinerin, die in Terelj abreiste, als wir ankamen. Heute treffen wir dort das Mädel, welches Ricardo und Ina nach Terelj brachte.

 

Der Abschied von unseren Gasteltern ist kurz und herzlich. Sie werden es genießen wieder ihre ganze Wohnung in Beschlag zu nehmen, von der sie bei unserem Besuch nur die Küche und ein Zimmer bewohnten. Für gut 10 Personen ist das nicht viel, vor allem wenn ein paar ordentliche Raucher darunter sind. Wieviele Leute wirklich zur Familie gehörten, weis ich bis heute nicht. Es gab immer ein Kommen und Gehen, wobei scheinbar jedemann willkommen war.

 

Es fiel übrigens auf, daß unser Gastfamilie gerne mal telefoniert. Vom ersten Tage unseres Aufenthaltes an ist ständig ein Mitglied der Familie am Telefon. Es wird soviel telefoniert, das es eigentlich sogut wie nichts kosten kann.

 

Der bewährte Bus bringt uns zum Hauptbahnhof. Der Zug hat eine gute Stunde Verspätung (was ist schon eine Stunde in der Mongolei ...) als er auf einem der beiden Gleise einfährt. Die Verspätung gibt Gelegenheit ausführlich von Undra Abschied zu nehmen, die uns zum Zug begleitet hat. Außerdem nutzen wir die Gelegenheit an den Verkaufsständen noch ein paar Kleinigkeiten fürs Abendbrot zu besorgen (Bier).

 

Der Zug ist weit weniger luxuriös, als der auf unserer ersten Teilstrecke. Kein Wunder, schließlich hat er mit der 278 eine recht hohe Nummer. Das Ambiente ist durchaus mit dem vergleichbar, welches in Vorwendezeiten in den Zügen nach Ungarn oder Bulgarien anzutreffen war. Es ist im Grunde nur ein normaler mongolischer Binnenzug, der einen Kurswagen nach Irkutsk führt. Dieser Wagen, den wir uns mit einer Horde Amerikaner teilen, soll dann an der Grenze an einen russischen Zug gleichen Kalibers umgehängt werden.

 

 

 

Dienstag, 05. August 1997, Zugfahrt Ulan Bator - Irkutsk:

 

Früh um sieben Uhr werden wir geweckt, die Grenzkontrollen beginnen. Während die Mongolen relativ zügig arbeiten, gestalten sich die russischen Kontrollen umständlich und langwierig. Schließlich sind gegen 11°° Uhr auch die Russen fertig. Nun steht unser Kurswagen einsam wartend auf dem Gleis des russischen Grenzbahnhofes Nauschki.

 

Irgendwann soll hier der russische Zug kommen und den Kurswagen abholen. Leider ist nicht in Erfahrung zu bringen, wann genau das sein wird. Für einen Aufenthalt in Nauschki gibt es einige Abwechslung. So ist im hübschen Park vor dem Bahnhof ein kleiner Markt, wo es allerhand zu sehen und zu kaufen gibt. Wir müssen nur immer ein Auge auf den Waggon haben um die Abfahrt nicht zu verpassen.

 

Allmählich wird klar, daß es sich bei unserem Aufenthalt in Nauschki um Stunden handeln wird. Da die Benützung der Wagentoilette auf dem Bahnsteig nicht möglich ist (zugeschlossen), sind wir gezwungen die Bahnhofstoilette aufzsuchen. Hier schlägt dem Besucher ein bemerkenswert durchdringender Geruch entgegen. Schon der erste Anblick erklärt alles ... - der Besuch dieser Toilette wird ein unvergeßliches Erlebnis bleiben.

 

Doch auch der Unterhaltungswert der Bahnhofstoilette ist schnell verbraucht. Als es nach etwa 9 Stunden Aufenthalt in Nauschki beginnt langweilig zu werden, kommt eine Lok und erbarmt sich unser. Der Zug ist beileibe kein D-Zug. Er hält auf jeder Klitsche, wo auch immer mal wieder ein Wagen angehängt wird. Das gibt uns Gelegenheit das dörfliche Leben und die durchaus attraktive Gegend in Ruhe zu bewundern. Schließlich sind wir froh, daß es überhaupt weiter geht.

 

Nachts kommen wir in Ulan-Ude an. Die Hauptstadt der Burjatischen Republik soll eine der schönsten Städte Sibiriens sein. Wir können leider nur das Lichtermeer der 300.000 Einwohnerstadt bewundern. Als es von dort weiter geht, hauen wir uns ins Nest.

 

 

 

Mittwoch, 06. August 1997, Listwianka / Baikalsee:

 

Ich stehe um 615 Uhr auf und habe noch einen flüchtigen Blick auf den Baikalsee. Wir befinden uns mittlerweile auf der klassischen Transsibroute, auf der auch die Züge nach Wladiwostock fahren. Am Südzipfel des Baikalsees verlaufen die Schienen ein Stück unmittelbar am Südufer entlang, bis die Strecke nach Irkutsk abzweigt.

 

Es hat in der Nacht begonnen zu regnen und durch die Nebelschwaden ist die Sicht ziemlich begrenzt. Immerhin bietet der sibirische "Regenwald" auch ganz romantische Anblicke.

 

Nach dem Frühstück kommen wir in Irkutsk an. Wir treffen ohne Schwierigkeiten die Leute, die uns vom Bahnhof abholen sollen. Der offizielle Reiseplan sagt einen Tag Aufenthalt in der Stadt voraus, nach dem es dann auf der Angara per Motorbot zum Baikal-See geht. Unsere Abholer fragen uns, ob wir eine kleine Änderung im Ablauf verschmerzen würden. So soll es gleich mit dem Automobil nach Listwianka an den See gehen, um danach zwei zusammenhängende Tage in Irkutsk zu sein.

 

Die sehnlich erwartete Dusche werden wir dadurch noch ein wenig aufschieben müssen, die Unterkunft am Baikal ist nur ein Holzhaus einfachster Art. Doch wir sind mit der Änderung einverstanden.

 

Zur Abholung steht ein ziemlich kleiner Bus bereit. Mit drei Russen (ein Fahrer und zwei Begleiter) und uns sechsen einschl. Gepäck ist der Bus knackvoll. Es ist ein Wunder, daß alles hineinpaßt.

 

Als wir aus der Stadt hinausfahren kommt uns der Gedanke, daß wir noch gar keine Rubel getauscht haben. Kein Problem meint Juri, der Chef unseres Empfangskomitees, das können wir gleich hier im Auto. Damit wir in Ruhe hantieren können halten wir also an und Juri öffnet sein Köfferchen. Aus diesem zieht er einige Bündel Rubelscheine hervor. Jeder tauscht ein paar Dollar in Rubel um. Ich muß sagen, das machte, so am Straßenrand in dem engen Kleinbus, einen ziemlich mafiamäßigen Eindruck. Immerhin stellen wir später fest, daß Juri zu einem einigermaßen fairen Kurs getauscht hat. (1 US $ sind 5.750,- Rubel, in Moskau wird der Kurs schlechter sein.)

 

Juri steigt am Stadtrand aus und so fahren wir mit dem Fahrer und dem zweiten Begleiter an den Baikal. Im Bus ist es immernoch sehr eng. Trotzdem es nur eine gute Stunde Fahrt ist müssen wir unterwegs halten, um uns die Gliedmaßen auszuschütteln.

 

Wir erfahren von weiteren Änderungen im Reisegeschehen. Ursprünglich sollten alle sechs im Holzhaus unterkommen. Nun aber sollen zwei von uns etwa 15 bis 20 Minuten entfernt in einem anderen Quartier schlafen. Unsere Vorfreude auf den Baikalsee trübt sich etwas ein, wir sind gespannt was noch alles kommt.

 

In Listwianka angekommen stellt es sich heraus, daß die angegebene Entfernung 15 bis 20 Minuten Autofahrt bedeutet und der Fußweg entsprechend länger ist (Stunden). Das ist uns dann doch bissel viel, denn wir hatten uns auf einen gemeinsamen Aufenthalt im Holzhaus gefreut. Dieses ist dann nicht sehr groß, würde aber allen sechsen Platz bieten. Ricardo macht unserem russischen "Reiseleiter" umgehend klar, daß wir alle im Holzhaus bleiben werden, was dann dann auch geschah.

 

Das Haus hat zwei Schlafkammern und eine Veranda, die als Küche und Esszimmer dient. Im ausgebauten Dachzimmer hat schon ein holländisches Pärchen sein Quartier. Das Plumpsklo steht im Garten, gewaschen wird sich in der Schüssel im Garten und Wasser kann man aus dem Ziehbrunnen holen, der sich zwei Minuten wegabwärts befindet.

 

Quasi zum Inventar gehört eine verhältnismäßig jung wirkende Rentnerin, die uns bekochen wird. Sie scheint ganz froh zu sein, daß wir zu sechst bleiben. Das bedeutet für zwei Personen mehr Umsatz. Unser "Reisebegleiter" ist dagegen etwas sauer, sicher hatte er das andere Quartier schon vertraglich gebunden (vieleicht waren es auch gute Bekannte, denen er ein paar Dollartouristen zukommen lassen wollte). Mißmutig fährt er nach Irkutsk zurück. Die Enkelin unserer Quartier-Mama versucht uns in gebrochenem Englisch die Gegebenheiten im Haus zu erläutern. Sie atmet erleichtert auf als wir sagen, daß sie russisch mit uns sprechen kann.

 

In der Mongolei hatten wir mit unserem Schulrussisch kaum Probleme, da es auch dort mehr oder weniger als Fremdsprache gesprochen wird. So sprachen beide Seiten langsam und hatten auch etwa den gleichen Wortschatz. In Russland legten wir dagegen erstmal die Ohren an. Es ist ein himmelweiter Unterschied sich mit einem russischen Muttersprachler zu unterhalten. Nach ein, zwei Tagen fallen einem aber zwangsläufig wieder etliche Vokabeln ein und auch an das Sprachtempo gewöhnt man sich. Am Ende war es erstaunlich, wie weit wir mit den Russischkenntnissen aus der Schule gekommen sind.

 

Nachdem jeder seine Schlafstatt okkupiert hat, gehen wir gegen 14°° Uhr hinunter zum Hafen (Nieselregen). Das andere Seeufer ist nicht zu sehen. Da der Strom ausgefallen ist, gibt es in den Strandklausen nur kalte Getränke und kein Mittagessen.

 

Als der Strom endlich wieder kommt vertrauen wir uns einem etwas besser aussehenden Restaurant an, denn wir haben Hunger. Dem begeisterten Blick der Kellnerin nach zu urteilen ist das Restaurant auf alle Fälle noch nicht privatisiert. Um sie bei der Bedienung von uns sechs Gästen zu unterstützen (bzw. um überhaupt etwas zu bekommen) gehen wir vor an die Theke unsere Bestellung abzugeben. Immerhin wird das Essen bis an unsere Plätze serviert. Es schmeckt auch nicht schlecht (Schnitzel mit Pilzen). Wir werden aber trotzdem nie wieder diese Gaststätte aufsuchen. Es war uns doch etwas peinlich, der Kellnerin derartig zur Last gefallen zu sein.

 

Der Regen hat mittlerweile nachgelassen und wir unternehmen einen Spaziergang am Rand des Dorfes entlang. Die Gegend sieht aus, wie die Mittellgebirgslandschaften in Europa, nur haben die Wälder keine Rauchschäden. In der Nähe des Dorfes kann man beruhigt in die Wälder gehn, das Reich der Bären und Wölfe fängt erst 200 km weiter nördlich an.

 

Auf unserem Weg begleitet uns ein Collie-Rüde. Ich schätze sein Alter auf etwa zwei Jahre, er ist sehr lieb und noch unheimlich verspielt. So haben wir einiges Kurzweil mit ihm, bis es wieder anfängt zu regnen und wir ins Holzhaus zurückkehren.

 

Beim Abendbrot (unsere "Mama" hat übrigens frischen Baikal-Fisch mit Kartoffelbrei gekocht - lecker, lecker) erfahren wir, daß der Collie "Lord" heist und eigentlich niemandem so richtig gehört. Ein Streuner. Auf Grund seines etwas verwahrlosten Aussehens mußte er draußen bleiben und durfte nicht mit ins Haus.

 

Unseren ersten verregneten Urlaubstag lassen wir mit ein paar abendlichen Runden Rommé ausklingen. Wir haben nicht die Illusion, daß am nächsten Tag Strandwetter ist, es wäre aber ein guter Zug von Petrus, wenn der Regen aufhörte.

 

 

 

Donnerstag, 07. August 1997, Listwianka:

 

Wir schlafen aus bis gegen neun. Zum Frühstück gibt es Griesbrei mit Toast (komische Zusammenstellung). Der Regen hat zum Glück aufgehört. Es wechseln Bewölkung und Sonne ab, es ist aber sehr windig. Wir gehen ins Dorf hinunter...

 

Das 2.000 Seelendorf Listwianka (Lärchenbaumdorf) bietet die Gelegenheit einmal die ganze Fülle russischer Holzarchitektur aus der Nähe zu bewundern. Der Ort besteht überwiegend aus den gemütlichen, mit reichlich Schnitzwerk verzierten Holzhäusern. Die teilweise auch recht farbenfrohen Gebäude sind von Bretter- und Lattenzäunen umgeben. Hinter denen verbergen sich Gärten, in denen bunte Blumen blühen aber auch Kartoffeln und Kohl wachsen. Nur mit Obst scheint es, klimatisch bedingt, Essig zu sein. Die Vegetationszeit ist zu kurz.

 

Der Ort hat es, durch den Tourismus, zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Nachdem die Häuser im Sozialismus offensichtlich zu verfallen drohten, sieht man nun das Bemühen alles wieder zu renovieren und herzurichten. Auch neue Häuser werden einige gebaut. Die Formenvielfalt reicht dabei vom traditionellen Blockhaus bis hin zu modernen Holzbauten, wie man sie in Skandinavien vermuten würde. An der Größe so manches Eigenheimes ist abzulesen, daß es auch der örtlichen Mafia ganz gut zu gehen scheint.

 

Als Höhepunkt des Rundganges möchte ich noch die Holzkirche von Listwianka erwähnen, die der Besucher des Dorfes nicht versäumen sollte.

 

Als wir den Spaziergang starten findet sich auch "Lord" wieder ein, der uns durch das Dorf begleiten wird. Der starke Wind hat den Nebel verweht. Als wir am Hafen ankommen, können wir die Berge an der anderen Seeseite sehen. Die Schiffe, die gewöhnlich auf dem See verkehren, fahren nicht, da Spritmangel herrscht. Nun fällt uns auch auf, daß verdächtig wenig Autos auf den Straßen zu sehen sind...

 

Wir gehen die Uferstraße entlang bis zum Abfluß der Angara, etwa eine Stunde Fußweg. Die Angara ist der einzige Fluß, der den Baikalsee entwässert, alle anderen fließen in ihn hinein. Die Angara ist am Beginn ihres Laufes vier oder fünf Kilometer breit. Am anderen Flußufer ist Port Baikal zu sehen. Der Ort mit Güterhafen und Bahnanschluß wurde für den Bau der Transsibstrecke angelegt und hat seine große Zeit wohl vor rund 100 Jahren gehabt. Aus der Ferne sieht er heute etwas verschlafen aus.

 

Das Hotel Baikal von dem man eine klasse Aussicht auf den See und die Angara hat, ist uns ein wenig zu nobel gehalten. Lord wäre sicher auch nicht willkommen gewesen, so verschieben wir das Mittagessen noch. Wir laufen wieder zurück zum Hafen, der so etwas wie das Zentrum des Dorfes darstellt. Auf dem Weg dahin vergnügt Lord sich und uns damit Kühe ärgern und Fliegen fangen.

 

Im Ort hat nun einigermaßen Trubel eingesetzt. Es sind allerhand Touristen unterwegs, die busseweise oder einzeln angereist sind. Die Sraßenhändler haben sich darauf eingestellt. Es gibt hauptsächlich maritimen Kitsch und Schnitzwerk zu kaufen. Das Imbissangebot ist durchaus befriedigend und reicht vom geräucherten Fisch bis zur Pizza. In einer der Imbissbuden stärken wir uns erstmal, wobei auch Lord durch hartnäckige Bettelei seinen Teil abbekommt.

 

Nach einer ausführlichen Erkundung der Ortes gehen wir zurück zu unserem Quartier, um ein wenig auszuruhen. Mittlerweile ist dort Dennis eingetroffen, der Sohn von Agenturchef Juri. Er ist Student und hilft in der Sommerpause seinem Vater aus. Nach dem Abendbrot gehen wir mit ihm in eine der Strandklausen um bei einem Glas Bier den Blick auf den See zu genießen.

 

Im Lokal trifft sich die Dorfjugend. Das Volk, welches anderswo in der Bahnhofs-Mitropa zu sitzen pflegt, ist in Ermangelung eines Bahnhofes ebenfalls vorzufinden. Aus den Boxen der Musikanlage dröhnt billiger deutscher Techno von Interpreten wie Scooter oder auch Blümchen.

 

Lord, der wie immer mit von der Partie ist, geht in der Gaststube umher und bettelt an den Tischen. Der Kellnerin geht das schnell auf die Nerven und sie gibt ihm einen saftigen Tritt. Lord jault auf und schießt zur Belustigung der Gäste wie ein geölter Blitz unter unseren Tisch. Dort bleibt er, tapfer drunter hevor blickend, bis wir die Kneipe verlassen.

 

Die Abendgestaltung besteht wieder aus einer Runde Rommé. Zu einem Vorteil gestaltet sich, daß Volker Bier-Etiketten sammelt. Er hat im Laufe des Tages etliche verschiedene Flaschen gekauft. Eine der großen Errungenschaften der Perestrojka ist die Tatsache, daß das russische Bier nunmehr getrunken werden kann. Vor allem bei Sorten, die über ein buntes, einladendes Etikett verfügen, kann man bedenkenlos zugreifen. Meist findet sich im Kleingedruckten ein Hinweis auf den neuen Eigentümer der russischen Brauerei (überwiegend aus Skandinavien und England).

Es gibt aber auch Bierflaschen mit blassen, verwaschenem Etikett, bei denen das Papier Löschblattcharater hat. Auf den Genuß dieser "Getränke" sollte man nach wie vor tunlichst verzichten ! Lediglich der kräftige Bodensatz hat einigen Nährwert.

 

 

 

Freitag, 08. August 1997, Listwianka / Irkutsk:

 

Acht Uhr dreißig ist Wecken, um neun Uhr sitzt alles beim Frühstück. Heute sind auch die beiden Holländer anwesend und mit der Mama und Dennis sitzen wir zu zehnt um den Tisch. Es ist erstaunlich, wie so viele Leute in der engen Veranda Platz haben, aber das fördert die Kommunikation und Geselligkeit ungemein. Die Holländer wollen etwa die gleiche Strecke durch Asien fahren wie wir. Sie sind jedoch in Moskau gestartet und so haben wir jeweils die Strecke vor uns, die die anderen schon hinter sich haben. Das gibt logischerweise Gelegenheit den einen oder anderen wertvollen Tip auszutauschen.

 

Nach dem Frühstück brechen wir zu einem Strandspaziergang auf. Es gibt ausschließlich Steinstrände, die jedoch zum Sonnen gern genutzt werden. Für die Einheimischen ist die Ausrichtung nach Osten (Westseite des See’s) ein Nachteil. Die Sonne liegt nur bis mittag an. Nachmittags, nach Schulschluß oder zum Feierabend, steht die Sonne im Westen und wirft die Schatten der Steilküste und Bäume auf den Strand.

 

Das Wasser des Sees ist sehr klar und hat Trinkwasserqualität. Der Baikalsee ist mit seiner enormen Tiefe das größte Süßwasserresevoir der Erde. Alle Flüsse der Welt würden gemeinsam ein Jahr brauchen, um den See zu füllen.

 

Jetzt im Sommer beträgt die Wassertemperatur 13°C. Mutige Schwimmer, denen diese Temperatur nichts ausmacht, sollten jedoch nicht zu tief tauchen, denn die Temperatur nimmt unter der Wasseroberfläche rapide ab. Wir verzichten jedenfalls auf ein Bad, knietief ins Wasser zu gehen ist heute das äußerste der Gefühle.

 

Beim Wassertemperatur messen zerbrösle ich durch meine Tappigkeit das kleine Termometer, welches ich schon seit über zehn Jahren auf meinen Reisen mitführe. An einen Stein gebunden bekommt es nun eine See-Bestattung auf dem Grunde des Baikals. Eine würdige Stelle.

 

Nach dem Mittag verabschieden wir uns von unserer Quartier-Mama, denn 1345 Uhr fährt der Bus nach Irkutsk. Wir müssen den Linienbus nehmen, da der bei Juri gecharterte Transfer in die Stadt geplatzt ist. Vieleicht weil kein Sprit aufzutreiben war. Auf dem Weg zum Bus treffen wir im Hafengelände die Amerikanern wieder, die mit uns im Zug von Ulan-Bator nach Irkutsk gefahren sind.

 

Lord, der uns in den letzten Tagen ein angenehmer Kamerad geworden ist, begleitet uns bis zur Bushaltestelle. Als wir einsteigen, ist er der Meinung mit uns nach Irkutsk mitfahren zu dürfen. Er springt in den Bus und ist nur sehr schwer davon zu überzeugen wieder aussteigen zu müssen. Der arme Kerl tut uns richtig leid, als wir ihn am Straßenrand sitzend zurücklassen.

 

Die Busfahrt ist ganz angenehm. Im Gegensatz zur Hinfahrt können wir uns nun in den Sitzen zurücklehnen und die Fahrt durch die Wälder genießen.

 

In Irkutsk angekommen, führt uns Dennis in unser Quartier. Es ist die großzügig geschnittene Wohnung einer Studenten-WG. Sie befindet sich zwar im Hinterhof eines Mietshauses, ihr Vorteil ist jedoch die zentrale Lage im Stadtzentrum. Dennis verabschiedet sich hier von uns und übergibt uns hier an Tatjana. Sie ist eine schnuckelige Studentin (Minirock !) die in diesem Quartier unsere Gastmutter ist.

 

Mit dem ersten Duschen seit Ulan-Bator stellen wir die Hygiene wieder her. Nun sind wir ausreichend erfrischt für einen Stadtbummel.

 

Irkutsk ist keineswegs mit den Krebsgeschwüren von sibirischen Großstädten zu vergleichen, wie wir sie in Ulan-Bator kennenlernten. Mit ihrer Gründung im Jahre 1661 ist sie eine der ältesten Städte Ostsibierens. Ursprünglich als Festung gegen die Mongolen gegründet, entwickelte es sich schnell zum wohlhabenden Handelszentrum.

 

Heute ist Irkutsk das Zentrum des "Irkutsker Gebietes" (so groß wie Frankreich und Österreich zusammengenommen). Von den 600.000 Einwohnern der Stadt sind 50.000 Stundenten. Es gibt neun Hochschulen, eine Reihe von Fachschulen, vier Theater, eine Philharmonie 15 Kinos, 27 Clubs, 12 Museen und 70 Bibliotheken sowie eine lokale Fernseh- und eine Radiostation.

 

Die Stadt ist durchaus sehenswert. Das Stadtzentrum ist voller schöner Bürgerhäuser und sonstiger repräsentativer Bauten, welche die Kriege unbeschadet überstanden haben. Der mittlerweile einsetzende Feierabendverkehr ist einer Großstadt würdig, trübt jedoch mit seinem Dreck und Lärm ein wenig den Anblick.

 

Beim Stadtrundgang treffen wir zwei mal die beiden Holländer wieder, die mit uns in Listwianka im Holzhaus wohnten. Großes Gespaßel ! Asien ist ein Dorf. Die beiden sind nach uns abgereist und werden bis zum nächsten Tag in Irkutsk bleiben.

 

Abends um 21°° Uhr schlagen wir in unserem Quartier auf. Tatjana hat inzwischen ein lecker Abendbrot zubereitet. Es gibt eine Art gesprengtes Huhn mit diversen Salaten. Das Abendbrot ist außer der Reihe und Tatjana nimmt dafür umgerechnet 15 DM (das ist angemessen und, wie wir noch erfahren werden, wesentlich billiger als im Restaurant).

 

Danach ist Bettzeit.

 

 

 

Sonnabend, 09. August 1997, Irkutsk:

 

Von einigen hartnäckigen Mücken abgesehen war die Nachtruhe ganz erholsam. Wochenendgemäß wird 9°° Uhr gefrühstückt, danach ist Stadtbummel angesagt.

 

Langsam gehen unsere Rubelbestände zur Neige. Den größten Teil des Vormittags bringen wir damit zu, eine Wechselstube zu suchen. Es gibt zwar Unmengen an Banken und Wechselstellen. Unglücklicherweise haben die aber am Wochenende geschlossen. Nur an einem Schalter im Kaufhaus kann man samstags Rubel tauschen, der hat aber gerade eine Stunde Mittagspause.

 

Schnell sind wir von einigen dubiosen Gestalten umringt, die unser Begehr erkannt haben. Sie bieten uns den Geldwechsel zu einem überaus guten Kurs an. Da jedoch in allen seriösen und auch in allen unseriösen Reiseführern abgeraten wird, die Dienste solcher Herren in Anspruch zu nehmen, verzichten wir auf ihr Angebot. Wir finden leider so schnell keine Alternative und die Jungs kleben wie Scheißhausfliegen an uns. Endlich finden wir in einem Geschäftshaus einen offiziellen Schalter, an dem wir tauschen können. Betrübten Blickes zieht unsere "Leibwache" von dannen.

 

Der geneigte Leser wird sich fragen, ob man in Russland mit Dollarnoten in der Tasche nicht durchs Leben kommt. Tatsächlich wird der Dollar für kleine private Dienstleistungen gern genommen (siehe gestriges Abendbrot). Im Kaufhaus oder an der Eisbude dagegen muß man mit Rubel bezahlen.

 

Dennis hatte uns am Vortag einige Tips für den Stadtbummel gegeben. Dazu gehörte auch ein Schnellfress an der Ecke Uliza Suche Batora - Uliza Swerdlowa. Hier gibt es zu unerhört günstigen Preisen leckere russische Spezialitäten. Wir essen Blini (Pfannkuchen) und Pelmeni (Pelmeni).

 

Da wir nun rubeltechnisch versorgt sind, wird der Stadtbummel nach dem Mittagessen auf die Sehenswürdigkeiten ausgedehnt. Es gibt verschiedene Parks, Kirchen oder auch den dörflichen Stadtteil Alt-Irkutsk. Leider finden wir dort den angepriesenen Bauermarkt (Rynock) nicht. Besonders anheimelnd ist der Spaziergang an der Angara entlang. Die Zwiebeltürmchen der Kirchen spiegeln sich im Wasser, wir werden Zeuge wie ein Brautpaar Blumen am Helden-Gedenkstein niederlegt und am Zusammenfluß von Irkut und Angara steht gar ein Gebäude, das gewisse Ähnlichkeit mit dem Opernhaus in Sydney hat. Das Sommerwetter und die weite Verbreitung von Miniröcken halten uns jedoch davon ab, staubige Museen und orthodoxe Kirchen zu besichtigen oder in die Oper zu gehen.

 

Da unsere Truppe hauptsächlich aus Freunden elektrisch verstärkter Gitarrenmusik bestand, freuten wir uns beim Stadtbummel auf ein Geschäft zu treffen, welches Erzeugnisse aus diesem Fachgebiet führte. In der gut sortierten CD-Abteilung waren die Preise besonders erfreulich. Auch durchaus rare Scheiben gab es schon für umgerechnet 8 - 10 DM. Alles Schwarzpressungen - logisch ! Wer sein Gemüt jedoch nicht mit dem Kauf einer Raubkopie belasten wollte, konnte die meisten CD’s auch als legale Ausgabe erwerben, allerdings zu den in Deutschland üblichen Preisen. Unser Kaufrausch hielt sich in Grenzen. Ungeschickterweise wollten wir die zerbrechlichen Stücke erst am Ende der Reise in Moskau erwerben, wenn auch ein Überblick über die verbleibenden Finanzen möglich ist.

 

Während der ausgibigen Stadtrunde lassen wir uns im herrlichen Park an der Angara an einem Bierstand nieder. Die Ausstattung der Stadt mit derartigen Einrichtungen ist übrigens vorbildlich zu nennen. Jede Eisbude, jeder Schnellimbiss, jeder Luftballonverkäufer, jede Losbude einfach jeder Straßenverkauf hat auch ein Faß Bier im Angebot. Ich habe bisher nirgendwo eine solche Dichte an Bierständen gesehen (alle 30m bis 50 m).

 

Nicht zuletzt durch die sommerlichen Temperaturen um die 30°C erfreuten sich die Bierverkäufer regen Zuspruchs. Die Preise mit 3,- DM / halben Liter sind für russische Verhältnisse sehr moderat. Seit das Bier in Russland schmeckt (Tip: "Admiral Koltschak") ist es zu einem beliebten Volksgetränk geworden. Ich hatte erwartet wesentlich mehr Wodkatrinker zu sehen (und ehrlich gesagt auch mehr "Koma-Tote"). Aber offensichtlich ist der Suff in der Öffentlichkeit einigermaßen in den Griff bekommen worden.

 

Da wir auch das abendliche Leben der Stadt etwas genießen wollen, gehen wir für das Abendbrot nicht in das Quartier zurück. Wir verzichten auf Tatjanas Kochkünste und wollen ein Restaurant besuchen. Der Deutsche neben dem Stadion ("Zum Fichtelberg") wird aus einleuchtenden Gründen abgelehnt, den haben wir auch zu Hause. Der Chinese ein paar Ecken weiter findet dagegen unsere Zustimmung. Wir sitzen noch nicht lange als neben uns ein Alleinunterhalter seinen Kram aufbaut. Fluchtartig verlassen wir das Lokal.

 

Im Kafe Ujut auf der Uliza Stepana Rasina lassen wir uns endgültig nieder. (Nach einer halben Stunde wird auch hier ein Alleinunterhalter sein Werk beginnen.) Das Restaurant wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Mein Schweinebraten wird auf einem Teller in Taschenrechnergröße serviert. Neben dem mickrigen Stück Fleisch befinden sich einige Kartoffelmoleküle. Dafür werden, nebst einem Glas Bier und einschl. Musikzuschlag, rund 40,- DM fällig. Prost!

 

Hungrig gehen wir ins Quartier zurück, essen noch einen Happen und legen uns schlafen.

 

 

 

Sonntag, 10. August 1997, Irkutsk:

 

Heute beginnt die Bahnfahrt nach nach Moskau, die vier Tage im Zug bedeutet. Da wir von Listwianka mit dem Linienbus zurückfuhren haben wir bei Juri eigentlich noch einen Transfer gut. Als der Agenturchef uns am Morgen die Fahrkarten bringt fragt Ihn Ricardo, ob er uns dafür zum Bahnhof fahren würde. Selbstverständlich macht er das, für 10 $ extra pro Nase. Fast hundert Mark für die Biege zu bezahlen erscheint uns ein bischen fett. Wir laufen das Stück zum Bahnhof zu Fuß und kaufen für das gesparte Geld noch ein wenig Reiseproviant ein.

 

Etwa die Hälfte der Lebensmittel in Irkutsk (meistens die billigen) sind chinesische Importe. Volker vervollständigt schnell noch seine Bieretikettensammlung, so daß ein ausreichender Getränkevorrat zur Verfügung steht. Jojo, der kein Bier trinkt (und der deshalb von uns immer etwas belächelt wird), hat sogar ein paar Flaschen Ginger-Ale aufgetrieben. Bisher war es ihm auf der Reise nicht möglich, solches zu erwerben. Ginger-Ale scheint im übrigen Asien gänzlich unbekannt zu sein.

 

Wir fahren mit dem "Bajkal"-Express. Dieser Zug hat die Nummer 9 und weist deutlich mehr Komfort auf, als der vorherige von Ulan-Bator nach Irkutsk. Schon beim Eintritt in das Abteil wird man mit einem hübsch dekorierten Tischchen empfangen, auf dem die Grundausstattung an Reisezubehör aufgebaut ist. Da wären also einige Flaschen Saft und Mineralwasser, Schokolade und Knabbereien, Kaffeepulver, Teebeutel, ein paar Plasteblumen usw. usf. Später erfahren wir, daß diese liebevolle Begrüßung 26 US $ extra kostet und den Nebenverdienst des Waggonschaffners darstellt.

 

Da wir diesmal 2. Klasse fahren haben wir 4-Personen Abteile. Ein Abteil wird mit vieren von uns aufgefüllt, Specki und ich gehen dann in das nächste Kabuff. Wir haben Glück, vorerst sieht es so aus, als ob wir das Abteil für uns alleine haben.

 

Nachdem wir uns im Zug einigermaßen akklimatisiert haben, gehen wir in den Speisewagen Mittag essen. Hier ist die einzige Stelle im Zug, wo man gekühlte Getränke bekommt. Die Soljanka bekommen wir mit zwei Löffeln serviert. Wir machen uns Gedanken, wie russische Menschen Soljanka zu essen pflegen. Es stellt sich heraus daß der zweite Löffel in der Suppe bleibt und sie dadurch am Überschwappen hindert.

 

Von nun an machen wir es uns zur Gewohnheit, mindestens einmal am Tag im Speisewagen zu essen. Der lange Weg durch den Zug bis zur Mitropa verschafft etwas Bewegung und eine warme Mahlzeit am Tag ist auch nicht verkehrt. (für die schmackhaften und übersichtlichen Portionen sollte man mit Getränk etwa 15 DM veranschlagen).

 

Anfangs ist die Fahrt recht kurzweilig, es gibt noch eine Menge zu sehen. Wir fahren durch Angarsk und Tscheremchowo, die gleich hinter Irkutsk an der Strecke liegen. Hier haben wir Gelegenheit einige spektakuläre Industrieruinen zu bewundern. Bisher hatten wir nur private Wirtschaften und Betriebe gesehen, die allesamt in Schuß waren. Bei den nun an der Strecke liegenden, staatlichen (Groß-)Betrieben treffen wir das erste mal auf für unsere Begriffe "russische" Verhältnisse.

 

Für die ehemaligen und noch tätigen Landmaschinenbauer (der ich selbst auch mal einer war) möchte ich noch am Rande erwähnen, daß auf einer Wiese etwa 100 km hinter Irkutsk ein vollkommen fuktionstüchtiger Fortschritt-Schwadmäher E 302 seine Runden drehte.

 

Als der Ausblick etwas eintönig zu werden beginnt, verbringen wir die Zeit im Zug hauptsächlich mit Gesellschaftsspielen, lesen und essen. Dazu wird massenhaft Tee getrunken. In jedem Waggon ist dafür aus einer Art großen Samowar ausreichend heißes Wasser erhältlich (kost nix). Durch das gelegentliche Aufbrühen von Kaffee wird dabei eine unglaubliche Abwechslung erzeugt.

 

Beim Abendbrot im Abteil wird die bisherige Tour (fast schon abschließend) ausgewertet. Damit der Mund beim Sprechen nicht austrocknet, greifen wir auf unsere Getränkevorräte zurück. Specki und ich haben uns für diesen Zweck mit den praktischen 2-Liter- Bierflaschen ausstaffiert. Einmal geöffnet lassen wir es natürlich nicht erst schal werden. Da es sich um ziemlich kräftiges englisches Ale handelt weitet sich das Plauderstündchen schnell zu einer kleinen Feier aus.

 

Passend zur Gegend habe ich gerade das Lied von den "Drei weißen Birken" auf den Lippen, als der Wagenschaffner noch zwei junge Mägdelein (geschätzt: 17 bis 20 Jahre) in unser Abteil einquartieren will. Die beiden sind natürlich schwer begeistert, ausgerechnet bei uns mitfahren zu dürfen. Wir räumen die zwei eigentlich freien, mittlerweile aber von uns okkupierten Betten. Dabei gibt es einigen Streß, weil angeblich das Bettzeug fehlt. Als wir endlich doch alles auf die Reihe bekommen haben ist die Stimmung im Eimer und wir gehen ins Bett.

 

 

 

Montag, 11. August 1997, im Zug durch Sibirien:

 

9°° Uhr aufstehen, Frühstück, lesen, gucken, essen, ...

 

In Taiga (das Nest heist wirklich so) steigen die beiden Mädel wieder aus und wir haben das Abteil für den Rest der Fahrt für uns allein.

 

Auf den Bahnhsteigen ist jedesmal ganz erheblicher Trubel. Für uns ist das Gelegenheit die Lebensmittelbestände aufzumunitionieren. Von der sauren Gurke bis zum fertig gebratenen Truthahn ist alles erhältlich. Daneben gibt es Zeitungen, Zigaretten, Blumen usw. Es sind keine professionellen Händler, die hier verkaufen, sondern die ganz normalen Leute aus der Gegend. Meist sind es einfache Frauen, die am Zug entlanglaufen und z.B. versuchen das im Vorgarten gepflückte Kilo Tomaten zu verkaufen. Hier und da wechselt auch ein frisch gebackener Kuchen den Besitzer. Ein Fernzug mit zahlungskräftigen Reisenden ist eine wichtige Gelegenheit das Einkommen aufzubessern.

 

Mittlerweile haben wir eine Stunde Verspätung. Die Haltezeiten auf den Bahnhöfen (ca. 15 - 20 min) werden trotzdem eingehalten, da auch immer Wasser aufgefüllt wird. Allerdings gibt es kein Signal wenn der Zug wieder abfährt. Man muß bei seinen Einkäufen aufpassen, wann sich der Zug in Bewegung setzt und sollte immer etwas Geld, den Paß und eine warme Jacke dabei haben.

 

Von den Städten selbst ist vom Zug aus nicht viel Sehenswertes zu erblicken. Nur die üblichen Landschaften der Güterbahnhöfe und Großbetriebe. Einen gewissen Höhepunkt stellen jeweils die Überquerungen der großen Ströme dar. Aber die sind so schnell vorüber, daß man sich beim Fotografieren mächtig sputen muß. Trotzdem entlang der Transsibstrecke der am dichtesten besiedelte Streifen Sibiriens verläuft, sind die meiste Zeit nur Birkenwälder zu sehen.

 

Abwechslung ergibt sich aus der täglichen Reinigung des Waggons durch den Wagenschaffner. Es werden die Abteile durchgesaugt, die Läufer gewechselt und die Vorhänge in Ordnung gebracht. Sonst hat auch der Wagenschaffner einen ruhigen Job. Gelegentlich muß er auf Wunsch der Gäst die Klimaanlage nachregeln, die ständig etwas zu kühl eingestellt ist. Neben der Begrüßung von neuen Fahrgästen an den Haltestellen besteht seine sonstige Tätigkeit aus staubwischen, Chromteile polieren und Gardinen ordnen.

 

Auf der Eisenbahnstrecke ist allerhand los, im Schnitt haben wir alle 5 Minuten einen Gegenzug. Abends sind es nur noch 3.000 km bis Moskau. Die Entfernung läßt sich an den Kilometersteinen an der Strecke recht gut mitverfolgen. Gewöhnungsbedürftig ist nur, daß die russische Staatsbahn im ganzen Land nach Moskauer Zeit fährt. So muß man die an der Bahnhofsuhr angezeigte Uhrzeit immer auf die jeweilige Zeitzone umrechnen. Das ist uns viel zu aufregend, für uns wird Uhrzeit erst am Ankunftstag wieder Bedeutung erlangen.

 

 

 

Dienstag, 12. August 1997, im Zug von Asien nach Europa:

 

9°° Uhr aufstehen, wir sind in Tjumen. Der Zug ist nachts 900 km gefahren und hat die Verspätung wieder aufgeholt.

 

In Swerdlowsk kaufen wir uns eine russische 5-Minuten-Terrine. Mit dem heißen Wasser aus dem Samowar ist das eine schnelle Methode zu einer warmen Mahlzeit zu gelangen.

 

Mittags überquert der Zug die Grenze von Asien nach Europa. Wir fahren schon die ganze Zeit durch den Ural, wobei wir von den Bergen nicht viel gesehen haben. Logischerweise wurde die Eisenbahntrasse durch die Täler geführt, aber daß der Ural derartig flach sein soll erstaunt mich doch gewaltig. Gegen 11:30 kommt ein Obelisk am Fenster vorbeigeschossen, der die Kontinentalgrenze markiert. Wir haben für den großen Augenblick die Fotoapparate gezückt. Ein Halt wird leider nicht eingelegt. So es geht alles viel zu schnell, als daß ein vernünftiges Foto entstehen könnte.

 

Zwar sind wir jetzt wieder in Europa, aber die Aussicht aus dem Abteilfenster bietet nichts neues - auch hier gibt es Birkenwälder !

 

Im Speisewagen ist nicht viel los und so kommt der Koch mit frischgebackenen Pirogen und Pfannkucken durch den Zug gelaufen, die er auf eigene Rechnung verkauft. Er muß schon grinsen, wenn an unseren Abteilen vorbei kommt. Er kann regelmäßig sein ganzes Tablett abladen. Für den hinteren Zugteil muß er wieder neu backen.

 

Die ganze Fahrt ist im Grunde genommen eine ziemlich dekadente Veranstaltung. Wir bringen mittlerweile schon den dritten Tag mit Schlafen, Lesen, Essen und sonstigen Gesellschaftsspielen zu. Sich vom Sitzplatz zu erheben und zum Fenster im Gang zu bewegen wird zur sportlichen Herausforderung.

 

 

 

Mittwoch, 13. August 1997, Moskau:

 

Es ist 7°° Uhr als ich aufstehe, draußen ist Mischwald! Der Morgennebel im Wald und auf den Feldern bietet einen sehr schönen Anblick.

 

Ab Danilow (vorletzte Station vor Moskau) kommen diverse Händler durch den Zug und verticken allerlei Krimskrams. Spätestens jetzt heist es ständig einen von uns im Abteil sitzen zu lassen, damit man am Ende nicht ohne Gepäck dasitzt. Bisher waren unsere Mitreisenden entweder Familien oder Touristen. Vor einigen Jahren reisten noch Händler aus Polen, aus allen Teilen Rußlands und der Mongolei mit ihren Waren (und Schmuggelwaren) mit dem Zug. Heutzutage bevorzugen sie aus Kosten- und aus Zeitgründen Flugzeuge.

 

Weil der Zug noch ein paar Minuten Verspätung aufholen will, wäre er in Jaroslawl beinahe ohne Specki und mich abgefahren. Wir müssen das Einkaufen auf dem Bahnsteig vorfristig und ergebnislos abbrechen.

 

In Moskau kommt der Zug pünktlich an. Unsere Unterkunft haben wir diesmal nicht bei Gasteltern. Thomas Bärsch, ein Bekannter aus Deutschland, arbeitete damals als Journalist in Moskau. Bei ihm haben wir uns für die nächsten Tage eingeladen. Thomas holt uns vorbildlich vom Bahnhof ab. Er wohnt tatsächlich nur zehn Minuten Fußweg vom Jaroslawler Bahnhof entfernt, was uns angesichts unseres Gepäckes entgegen kommt.

 

Seine Wohnung wird seit Jahren als Unterkunft für die Korrespondenten der Sächsichen Zeitung genutzt. Sie befindet sich in einem Plattenbau etwa in der 7. - 8. Etage, ein Aufzug ist zum Glück vorhanden. Die Wohnungseingangstür besteht aus zwei hintereinander liegenden Flügeln. Ein Türflügel ist aus Stahl, beide Türflügel sind mit verschiedenen Schlössern und ausreichend Riegeln versehen. Es dauert eine kleine Ewigkeit ehe alles geöffnet ist, aber das ist der Preis eines sicheren Gefühles in Moskau.

 

Das nächste sichere Gefühl bekommen wir in der kleinen Sparkasse um die Ecke vermittelt. Dort wollen wir noch ein paar Rubel für die letzten Tage in Moskau tauschen. Vor dem einzigen Geldschalter steht ein Milizionär mit Kalaschnikoff, Helm und Schußweste. Die Botschaft seines Aufzuges ist einfach und klar: Bankräuber haben hier schlechte Überlebenschancen! Ohne irgendwelche Behelligungen bekommen wir unsere Rubel getauscht.

 

Der anschließende Einkauf für das Abendbrot gestaltet sich dagegen angenehm zivil. In einem kleinen Selbstbedienungsladen auf dem Mir-Prospekt decken wir uns mit Nahrungsmitteln ein. Ein ziemlich internationales Sortiment läßt uns eine sichere Auswahl treffen, über die paar russischen Erzeugnisse hat Thomas den Überblick.

 

Am späten Nachmittag gibt es dann schon Abendbrot, welches sich ziemlich ausführlich gestaltet. Wir haben von unserer Tour schon allerlei zu erzählen und auch Thomas Tätigkeit als Russland- Korrespondent ist nicht uninteressant. So verlassen wir erst gegen 19°° Uhr die Wohnung, nun schon zu einem abendlichen Stadtbummel.

 

Nach einer halben Stunde Fußweg sind wir am Kremel, nicht ohne unterwegs von Thomas auf bedeutende Sehenswürdigkeiten wie die Lubjanka (Ex-KGB-Zentrale) u.ä. hingewiesen zu werden. Auf dem Roten Platz angekommen fängt es bereits an zu dämmern und überall in der Stadt gehen die Lichter an. Der rot leuchtende Stern auf dem Spasski-Turm fehlt zwar mittlerweile, jedoch entschädigt der Anblick der übrigen Lichter und angestrahlten Gebäude.

 

Besonders romantisch sind dabei Wasserspiele im Alexandergarten an der Westseite des Kremels. Inmitten einer Unzahl von farbig beleuchteten Brunnen und Fontänen sind Steinfiguren aufgestellt, die Szenen aus russichen Märchen darstellen. Die kindgerechten und auch nicht gerade todernsten Szenen lassen den Stadtbummel kurzweilig enden.

 

Letze Sehenswürdigkeit des Tages sind die Bahnhöfe der Metro, mit der wir zur Wohnung von Thomas zurückfahren. Die abendliche Auswertung des Tages dauert bis nach Mitternacht. Nach Null Uhr bekomme ich dann allseitige Geburtstagsglückwünsche. Irgendwann sucht sich jeder in der großzügig geschnittenen 4-Zimmerwohnung einen Schlafplatz...

 

 

 

Donnerstag, 14.August 97, Moskau

 

Da Thomas keinen Urlaub hat, muß er arbeiten gehen. Für unseren heutigen Stadtbummel sind wir also auf uns allein gestellt. Wir beginnen die Visitation auf dem Arbat, wo wir 10°° vormittags mit der Metro eintreffen.

 

Der Arbat ist eine Fußgängerzone im ehemaligen Adelsviertel von Moskau. Leider sind wir mit unserer vormittäglichen Ankunft viel zu zeitig dran. Der Boulevard ist anfangs noch fast menschenleer und die kleinen Läden und Straßencafes rüsten sich gerade erst für den Kundenansturm. Wir laufen den Arbat in Richtung Zentrum hinab und haben in der ersten Stunde noch das Vergnügen, uns das schöne Viertel in Ruhe anzusehen. Besonders der Umstand, daß in wenigen Wochen die 800 Jahr-Feier von Moskau stattfinden wird, hat zu einem attraktivem Anblick im Zentrum geführt. Die Fassaden sind alle frisch gestrichen und in den Straßen herrscht ein Zustand, den der gewöhnliche Deutsche mit ordentlich und sauber bezeichnen würde.

 

An einem Stand mache ich ein spektakuläres Foto, wie Ricardo gerade eine Original Budjonny-Mütze kauft. Leider dreht er mir dabei den Rücken zu, so daß ich erst um den halben Stand herumlaufen muß, um den Deal einigermaßen auf Bild zu bekommen. Danach beglückwünsche ich ihn zu dem Kauf. Was ich noch nicht weis, ist die Tatsache, daß ich die Mütze auf der abendlichen Feier zum Geburtstag geschenkt bekommen werde.

 

Als wir am Roten Platz ankommen, ist auch die Milionenstadt Moskau zum Leben erwacht. In der City ist nun allerhand los. Wir gehen als erstes ins GUM. Das Gebäude nimmt mit 250 m Länge und 90 m Breite einen ganzen Häuserblock ein. Die Läden im ehemaligen staatlichen Universalkaufhaus sind heute wieder in privater Hand. Auf mehreren Stockwerken sind Geschäfte und Luxusläden untergebracht. Man findet alles von Benetton bis Karstadt. Die lichtdurchfluteten Galerien und überdachten Höfe mit ihren schmiedeeisernen Geländern und Brücken sind unbedingt sehenswert. Cafes und Bistros laden zum Verweilen ein.

 

Beim Stichwort Cafes und Bistros meldet sich unser Magen. Die Imbißmöglichkeiten im GUM erfordern einen etwas wohler gefüllten Geldbeutel. Glücklicherweise gibt es in der Innenstadt auch für den Normalverbraucher genügend Stände und Buden, um sich den kleinen Hunger zu stillen.

 

Die internationalen Schnellfreßketten haben das Stadtzentrum sogar so stark überschwemmt, daß Moskaus Bürgermeister um die nationale Identität der Moskauer auf diesem Sektor fürchtete. Vor zwei Jahren befahl er die Einrichtung von Schnellrestaurants mit russischem Kolorit. Besonders erfolgreich hat sich das Franchise-Unternehmen "Russkoje Bistro" etabliert. Mittlerweile schmücken dutzende Filialen das Stadtbild. Das Angebot umfaßt die wesenlichen Gerichte der russischen Küche wie Borschtsch, Pirogen, Pelmeni, Pfannkuchen usw. Im Gegensatz zu seinen amerikanischen Konkurenten hat das "Russkoje Bistro" einen ganz wesentlichen Vorteil. Das Essen schmeckt! Die Getränkekarte umfaßt, neben den üblichen Fitzelbrausen, ganz vernünftigen Kaffe und erfreulich guten Tee. Selbstverständlich gibt es auch Wodka.

 

Nachdem der gröbste Hunger gestillt ist, wollen wir den Kremel besuchen. Wir haben Pech. Donnerstags wird der Kremel gefegt und ist aus diesem Grunde geschlossen.

 

Auch das Leninmausoleum erweist sich als Reifall. Nachdem wir in Peking aufgrund von Baumaßnahmen dem großen Vorsitzenden nicht unsere Aufwartung machen konnten, bleibt uns auch der Besuch bei Lenin versagt. Das Mausoleum schließt bereits um 14:00 Uhr, wir sind zu spät. Etwas ziellos schlendern wir durch das Zentrum, wobei der Alexandergarten wieder zu bezaubern weiß. Die Wasserspiele bieten bei heftigem Sonnenschein ein wilkommene Abkühlung. Um das ganze noch zu toppen essen wir Moskauer Eis, das seinem guten Ruf voll gerecht wird.

 

Ein heraufgezogener Platzregen läßt uns den Stadtbummel schlagartig beenden und in die Basilius-Kathedrale flüchten. Auch die Amerikaner, welche mit uns im Zug von Ulan-Bator nach Irkutsk fuhren, und die wir auch in Listwianka getroffen hatten, haben sich hierher gerettet. Die Welt wird immer dorfer!

 

Die Basilius-Kathedrale ist ein ziemlich verwinkelter Bau. Im Prinzip besteht sie aus neun ineinander geschachtelten Kirchen. Innen ist es ziemlich schummrig und sehr orthodox. Mit dem Prasseln der Regentropfen auf dem Dach ergibt das ganze eine bemerkenswerte Atmosphäre.

 

Als es draußen endlich aufhört herumzuschweinern, gehen wir noch ein Stück die Twerskaja Ulitza hinauf. Das ist eine der großen Einkaufsstraßen Moskaus (früher Gorki-Straße). Unser Reiseführer beschreibt sie als Moskaus Champs-Elyssees. Dazu möchte ich mich nicht weiter äußern. Den hohen Standard an Attraktivität, wie sie der Arbat aufwies, kann sie auf jeden Fall nicht halten.

 

Nach einigen hundert Metern ärgern uns wieder die beginnenden Regenschauer, was dazu führt, daß wir uns in die Fußgängerunterführungen und unterirdischen Einkaufsmeilen zurückziehen. Hier versuchen wir einen Teil der verbleibenden Rubel in CD’s umzusetzen. Die Preise sind zwar mit rund 10,- DM das Stück ähnlich günstig wie in Irkutsk, jedoch sind die Sortimente deutlich weniger gut sortiert. Die Rolling Stones liegen neben der Zigeunermusik und werden von Scheiben mit russischem Schlager eingerahmt. Je nach Finderglück gestalten sich die Einkaufserfolge dadurch recht unterschiedlich.

 

Da sich da Wetter sich hartnäckig weigert sich zu bessern, brechen wir den Stadtbummel an dieser Stelle ab und fahren mit der Metro zum Quartier zurück.

 

Für den Abend ist eine kleine Feier vorgesehen, die Geburtsags- wie auch Abschiedsfeier sein soll. In meiner Einfalt schlage ich vor, dazu in eine gemütliche Kneipe einzurücken. Thomas klärt uns auf, daß ich damit die Realitäten verkenne. In Russland ist "die Kneipe um die Ecke" unbekannt. Auch uns fällt nun auf, daß wir während der Fahrt nur Restaurants gesehen haben, und die sind, so sagt Thomas, für Leute mit viel Geld.

 

Damit ist auch für deutsche Begriffe viel Geld gemeint. Er war vor einiger Zeit mit einer Kollegin in Moskau beim Mexicaner essen. Nachdem jeder eine Hauptmahlzeit und einen Long-Drink hatte, belief sich der Rechnungsbetrag auf rund 300,- DM. Das ist für Moskauer Verhältnisse normal. Uns wird nun klar, daß das mickrige Abendbrot im Restaurant in Irkutsk nur Teil eines mehrgängigen Menüs sein konnte. Nach drei oder vier Gängen wären wir dort einigermaßen satt gewesen (aber eben auch um einige hundert Mark ärmer).

 

Wir beschließen also im Kaufmannsladen noch einige Leckereien zu besorgen und die Feier in Thomas Wohnung abzuhalten. Da wir dabei versuchen die Rubelvorräte möglichst aufzubrauchen, ist unser Einkauf reichlich bemessen. Als uns Thomas mit den Taschen voller Wodka wiederkommen sieht fragt er uns besorgt, wo wir den gekauft haben. Wir hatten in einem regulären Konsum eingekauft, das beruhigt ihn sichtlich. Der Einkauf bei den fliegenden Händlern ist bei Schnaps nicht ohne Risiko. Da kann es schon mal vorkommen, daß die Rezeptur nicht so ganz den deutschen Reinheitsgeboten entspricht.

 

Volkers Bier-Etiketten-Sammelei hat uns heute die Erzeugnisse einer slowakischen Brauerei eingebracht. Auf deren Etiketten sind verschiedene, nur unzulänglich bekleidete Damen zu sehen. Doch auch die spärlichen Kleidungsreste ließen sich vermittels Rubbel-Technik noch entfernen. Das minderte zwar den Sammlerwert der betreffenden Etiketten, erhöhte jedoch die Stimmung ganz gewaltig.

 

Der Abend wurde ganz lustig. Thomas hielt eine Lesung mit einigen Artikeln, die er kürzlich verfasst hatte. Im Sommer ist nachrichtentechnisch Saure-Guken Zeit und die Zeitungen in Deutschland sind immer froh, wenn sie etwas Kurzweiliges zum Abdruck bekommen. Themen wie die russische Mafia, die Vorliebe des Präsidenten für alkoholische Getränke oder das Aufblühen des horizontalen Gewerbes in Moskau finden reißenden Absatz. Höhepunkt ist ein Video über die Einweihung einer kleinen Moskauer Brauerei (der Beitrag soll im ZDF gesendet werden). Thomas und einige Kollegen vom Deutschen Fernsehen wurden dazu eingeladen, da Deutsche als Fachleute für Bier gelten. Es gibt ein ulkiges Interwiev mit den schon etwas abgekämpften Fachleuten zu sehen.

 

Bald bekomme ich auch die bewußte Budjonny-Mütze überreicht und damit es völlig stilecht wird, steckt mir Thomas noch einen russischen Orden an, den er irgendwo hervorgekramt hat. Damit bin ich als "Vorbildlicher Kfz-Monteur", "Bester der Werkstatt" oder so etwas ähnlichem ausgezeichnet. Unbemerkt und fast von allein leeren sich die Getränke und Mitternacht ist vorüber, als wir uns in die Schlafsäcke begeben um die Kräfte für den Rückflug zu schöpfen.

 

 

 

 

Freitag, 15.August 97, Moskau - Berlin

 

Mittags geht der Flieger nach Berlin. Wir wollen wieder zwei Stunden eher am Flughafen sein und so heist es nach dem Frühstück Abschied nehmen. Zum Flughafen fahren wir mit dem Taxi. Dank Thomas guten russischen Sprachkenntnissen kriegen wir die Fahrzeuge nicht zum Touristentarif, sondern zu dem für Moskauer Menschen üblichen Preis. Es sind zwei Wolgas, in deren Kofferraum unsere Kraxen verschwinden wie in der Ladeluke eines Elbkahnes. Dann versinken wir in den Sitzen. Auch innen ist der Wolga ein Schiff. Den Fahrern ist die Strecke offensichtlich etwas langweilig und so vergnügen sie sich mit einer Wettfahrt. Spurwechsel, Hupe (Gebärdensprache), Vorfahrt schneiden, Vollbremsung .... naja. Jedenfalls sind wir dadurch mehr als zeitig auf dem Flughafen in Scheremetjewo.

 

Wir haben genügend Zeit die nun wirklich letzten Rubel in Bockwurst, Bier und Kinkerlitzchen umzusetzen. Der verbleibende Rest wird in richtiges Geld zurückgetauscht. Nach einer guten Stunde Aufenthalt in der Vorhalle wird unser Flug aufgerufen und wir begeben uns durch den Zoll. Es gibt ein paar Unstimmigkeiten, da wir nicht alle Bilder aus China bei der Einreise deklariert hatten. Aber der Zöllner will am Ende auch Streß vermeiden und läßt uns passieren. Der wirkliche Hammer kommt erst jetzt beim Check-in.

 

Wir wollen unsere Bordkarten holen und erfahren, daß der Flieger ausgebucht ist. Zwar haben wir gültige Flugkarten, stehen aber nicht im Computer. Das bedeutet kein Sitzplatz mehr frei und Stehplätze gibts im Flieger nicht. Wir sind einigermaßen verblüfft und auch die Tante am Check-in kann sich das nicht erklären. Immerhin wartet das Flugzeug noch ein paar Minuten, bis die Sache aufgeklärt ist, doch irgendwann hat das auch keinen Zweck. Die Russen können keine freien Plätze herbeizaubern und so startet der Flieger ohne uns nach Berlin. Da haben wir schön blöd geguckt !

 

Nun marschieren sechs Leute mit dickem Hals in das Büro von Aeroflot. Die beiden Angestellten dort drin sind vorerst auch ziemlich hilflos. Sie vertrösten uns auf einen Flug am nächsten Tag (immerhin bleiben die Tickets noch gültig). Schließlich stellt sich heraus, daß wir das Kleingedruckte auf den Tickets nicht gelesen haben. So muß ein interkontinentaler Flug spätestens 48 h vor Abflug telefonisch bestätigt werden. Unser Einwand, daß ein Flug von Moskau nach Berlin keine Interkontinentalstrecke ist, wird dabei souverän abgeschmettert. Wenn der Rückflug auf dem gleichen Stück Ticket-Papier wie der Hinflug aufgedruckt ist und der Hinflug von Berlin nach Peking führt (also interkontinental ist), dann ist auch der Flug von Moskau nach Berlin ein Interkontinentalflug. Wieder etwas gelernt !

 

Leider konnte uns Aeroflott keinen kostenlosen Hotelplatz zur Verfügung stellen. So bleiben wir vorerst im Zollraum des Flughafens und hoffen, daß vieleicht schon eher ein paar Plätze nach Berlin frei sind. Die Kraxen werden vor der langen Reihe der Check-in Schalter aufgestapelt und eine bequeme Wartehaltung eingenommen. Den Frust spülen wir mit ein paar Bier aus dem Duty-free Shop herunter. Unser ansehnlicher Vorrat lockt verschiedene Weltenbummler an, die gerade ankommen oder abfliegen wollen. Es wird ein feucht-fröhliger Erfahrungsaustausch gepflegt, Adressen werden getauscht und langsam regen wir uns wieder ab. Es wird herumgewitzelt, Zielscheibe des Spotts sind sechs Typen, die keinen Platz im Flugzeug bekommen haben. Im Stillen wundere ich mich, daß unser bajuwarisches Zigeunerlager in dieser Form von den Behörden toleriert wird. Ein paar Japanern, die zurück nach Tokio flogen, waren wir sogar ein paar Fotos wert...

 

Stunden später. Es ist nach 18:00 Uhr als tatsächlich in einem Flug nach Berlin noch Plätze frei sind. Es sind zufällig sechs Plätze, fünf in der zweiten und einer in der ersten Klasse. So kommen wir alle auf einen Schlag weg, ohne bis zum nächsten Mittag warten zu müssen. Ich bekomme den Erste-Klasse-Platz zugeteilt und kann mich nicht dagegen wehren.

 

Es ist eine niedliche Iljuschin der Aeroflott, welches noch den Charme der 60er Jahre versprüht. In der ersten Klasse ist es für Erste Klasse ziemlich eng, dafür gibt es zum Abendbrot Wahlessen. Das wurde auch Zeit denn im Zollraum war zwar die getränketechnische Versorgung gesichert, dafür war jedoch Schmalhans Küchenmeister.

 

Nach dem Essen gehe ich hinter in die zweite Klasse um nach den anderen zu sehen. Als erstes erfahre ich, daß es für die Passagiere zweiter Klasse kein Bier mehr gibt. In der ersten ist noch welches erhältlich, und so führen wir eine Umverteilung von oben nach unten durch. Bis auch in der ersten Klasse das Bier alle ist.

 

Ohne Bier aber mit guter Laune landen wir am Abend in Berlin, von wo wir den endgültigen Heimweg antreten. So findet ein klasse Urlaub seinen Abschluß.